Schwingfähige Systeme

Seit 2012 befasst sich Reni Hofmüller mit Kommunikationsräumen, die durch Antennen erzeugt und charakterisiert, im Live-Set musikalisch-improvisatorisch ausgedeutet werden. Die Klangwelten, die dem Empfang elektromagnetischer Wellen entstammen, geben jener Welt Raum, in welchem die Skulpturen gleichsam als „Weltempfänger“ fungieren.

Heimo Ranzenbacher Heimo Ranzenbacher
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If you want to find the secrets of the universe, think in terms of energy, frequency and vibration.  (Nikola Tesla)

Tief und weit, magisch, flüchtig und berührend, das sind die elektropoetischen Klangwelten, die Reni Hofmüller mit den Antennen ihrer Resonating Sculptures erschließt. In Geräusche transformierte Strahlungsemissionen der natürlichen und der menschgemachten Welt, des Kosmos’ ebenso wie des technologischen Environments: Rauschen, Knacksen, Zischen, Pfeifen, Vibrieren, Klirren und Klicken, Schwirren, Summen, Schwingen und Dröhnen, Stimmen, Töne und Klänge aus dem Radio. Die Skulpturen sind mobil, klein, schwer, raumgreifend, sie referenzieren Orte und Plätze, für die sie entworfen wurden, und sie haben ihre jeweils eigene Entstehungsgeschichte. Diese bilden sich in den Formen ebenso ab wie das Spektrum dessen, was sie empfangen. Acht Resonating Sculptures sind in den vergangenen elf Jahren entstanden. 

Portfolio

Reni Hofmüller ist als Künstlerin: Musikerin, Komponistin, Performerin, Organisatorin, Kuratorin, Feministin, Aktivistin (in den Bereichen [Neue] Medien, Technologie und Politik), sie ist Radiomacherin (vormals Radiopiratin), Amateurfunkerin (Kennung: OE6TLE) und in puncto Freier Software und Open Hardware aktiv. Das in diesem Portfolio konturierte Interessens- und Tätigkeitsfeld spielt im eigentlichen künstlerischen Engagement vielleicht mehr als üblich eine Rolle. Konkret sind etwa die Vorbilder der Antennen und das damit verbundene Know-how in der Radiopiraterie der frühen 1990er-Jahre verortet, als mobile Antennen bei temporären Interventionen zum Einsatz kamen (und – euphemistisch gesagt – die nötige Beweglichkeit erlaubt haben).

Antennen

Eine Antenne ist eine Vorrichtung zum Senden und Empfangen elektromagnetischer Wellen. In dem Material, das sich Hofmüller dabei erschließt, mischen sich die Anteile der natürlichen und intentionalen Welt am gesamten Spektrum – von der kosmischen Hintergrundstrahlung und Teilchenstrahlung von Sonne und Galaxien über atmosphärische Phänomene bis zu den Artefakten des Rauschens im zivilisatorischen Istzustand durch Radio, Mobilfunk, WLAN, GPS, Satellitenrundfunk, Induktionskochplatten, UV- und Röntgenstrahlung etc. pp. Als Präzisionswerkzeug bezogen auf ein bevorzugtes Frequenzspektrum ist eine Antenne ein technoides zweckbestimmtes Gefüge; darin formalisiert sich Absicht – etwa der Empfang von UKW. In Gestalt leitfähiger Strukturen existieren auch natürliche Vorkommen an Antennen – Kupferadern in einem Berg, zufällige Konstellationen leitfähigen Materials …; sie existieren (als Antennen) sobald sie empfangen und erweisen sich dadurch als autodefinitorisch, „autopoietisch“. Darin begründet sich auch die Doppelrolle der Antennen als Werkzeug und Gegenstand in Hofmüllers Forschungsinteresse: Künstlerische Exkursionen in eine Welt, die den ontologischen Status des Mediums bestimmt, welches das Unternehmen ermöglicht, rücken das Medium selbst nachgerade zwingend in den Blick.

Resonanzen

In der Funktion eines Kommunikationsinstruments gründen darüber hinaus verbindliche Prinzipien für den Einsatz und Entwicklungen im künstlerischen Kontext: Kommunikation, Kollaboration, Kooperation … Prinzipien, die für Reni Hofmüllers Arbeit nicht nur in der gegenständlichen Werkgruppe bezeichnet sind, die die Künstlerin hier aber radikaler als sonst ausformuliert hat. Am deutlichsten zuerst in Playing the Building (2008 - 2012), einer Reihe von Klang-Performances auf Basis von in Schwingung (Resonanz) versetzter und eigenschwingender Gebäudeteile, die der Werkgruppe der Resonating Sculptures vorausgegangen sind. Dabei wurde selbst unbelebte Materie in einen lebendigen Austausch gleichberechtigt einbezogen.

Playing the Building

Resonanz liegt aus physikalischer Sicht vor, wenn ein Körper durch (seiner Eigenfrequenz gleichende) Frequenzen von außen verstärkt in Schwingung versetzt, bzw. zum Mitschwingen angeregt wird. Darin selbst ein hochgradig metaphorisches Verhalten, ist Resonanz in den Projekten Hofmüllers intentionaler Zustand und Mittel zugleich. Die Verschränkung physikalisch-technischer, sozialer und metaphorischer Elemente zu „schwingfähigen Systemen“, wie sie die Werkgruppe der Resonating Sculptures auszeichnet, hat darin eine ihrer Grundlagen.

Handlinien, Handzeichen, Handlungen

Den Beginn markieren Resonating Sculpture und Resonating Sculpture - Handarbeit

Resonating Sculpture1, entstanden für das ORF musikprotokoll 2012 – ein „Hack“ (E. Zimmermann) des Objekts „Lichtschwert“ von Hartmut Skerbisch, eines Stahlskeletts nach der Innenkonstruktion der amerikanischen Freiheitsstatue im Maßstab 1:1 vor der Grazer Oper2. Auf Basis des zur Sende- und Empfangsantenne umgewidmeten Objekts wurde ein situativer (d.h. auch lokale Umweltbedingungen abbildender) Scan der elektromagnetischen Wellen in Klang transformiert und funktechnisch an verschiedene Empfangsstationen übermittelt; die Antworten wurden gemischt und in einen dynamischen Loop eingebunden. An der Radioversion „Echo“ (Ö1 Kunstradio) waren 15 Amateurfunker:innen beteiligt, die u.a. (empfangs-spezifische, d.h. wie üblich, durch Wetter und/oder Ionosphäre beeinflusste) Aufnahmen von der Grazer Erstaufführung der Künstlerin für ihre Radioperformance als (wiederum sendespezifisches) Material zur Verfügung stellten.

Resonating Sculpture (Lichtschwert), ORF musikprotokoll im steirischen herbst 2012

Resonating Sculpture II, Handarbeit – eine Reminiszenz an die improvisierten Sendeantennen für Radiopiraterie und Funk: einfach handzuhabende Planen mit aufgeklebten Alufolien-Streifen – übernimmt die Idee von Lebenslinien der Hand als (dem Fingerabdruck verwandter) Ausdruck menschlicher Individualität und realisiert die Linien der linken Hand der Künstlerin im Funktionszusammenhang einer Antenne. (Beitrag zu Visionen der Medienkunst,  Wien 2016, als Hommage an Robert Adrian X.) 

Resonating Sculpture III, Zuneigung, mit den Lebenslinien der rechten Hand wurde beispielsweise gebaut für das Projekt Emotion + the Tech(no)body im Austrian Cultural Forum London 2017 und gespielt im Rahmen einer Kooperation mit der US-amerikanischen Künstlerin, Radiomacherin und Soziologin Karen Werner in deren Projekt „Haus“, 2017 - 2018. 

In den Hand-Antennen verdeutlicht sich nicht zuletzt eine der gesamten Serie zugrunde liegende Absicht Hofmüllers, nämlich die (auch) physiologische Verbundenheit eines jeden Einzelnen mit den vielgestaltigen Naturen seiner Umgebungswelten zugänglich zu machen, als eine reale Geste: Aus- und Umdeutung des Körpers zu einem Instrument, das zumindest exemplarisch erschließt, wofür Menschen sonst keine Sinne, kein Sensorium besitzen.

Spielarten

Skerbisch̕ Lichtschwert ist die bislang einzige in ihrer Gestalt vorgegebene Antenne der Serie. Für alle weiteren Projekte wurde gerade die Formfindung in der Entwicklung der oft raumgreifenden Antennen entscheidend. Persönliche Geschichte kann ebenso eine Rolle spielen wie soziales, kommunikatives Handeln – Prozesse, die nicht nur im skulpturalen Bedeutungszusammenhang (inhaltlich, formal) wirksam werden, sondern infolge der finalen Gestalt der Antenne das Empfangsspektrum und so auch das Klanggeschehen bestimmen. Eine Antenne unterscheidet zwar nicht zwischen künstlichen, intentionalen und naturgegebenen elektromagnetischen Wellen. Ihre Beschaffenheit und die daraus folgende Wechselwirkung mit ihrer Umgebung beeinflussen jedoch die implizite, wenn man so will: „latente“ auditive Gestalt3.

Repräsentativ dafür sind neben den sogenannten Hand-Antennen Resonating Sculpture VII – Schälung und IV – Plasmodiumstrukturgeflecht.

Schälung entstand während eines Antennenbau-Workshops beim Klangkunstfestival Sonandes in La Paz/Bolivien. Zuerst galt es im Austausch Bedeutungen zu eruieren, die eine Antenne über den technisch-funktionalen Einsatz hinaus haben könnte; in der Folge sollten unter Verwendung griffbereiten Materials – wofür sich eine Fülle ausgedienter Elektrokabel anbot – einsatzfähige Exemplare entwickelt werden. Im Zuge der Gespräche über lokale Lebensumstände ist beim gemeinsamen „Kabelschälen“ als Hommage an die Teilnehmer:innen eine kleine Antenne entstanden: Ein mit Fäden der Kupferkabel bestickter S/W-Print einer Landkarte der Wasserläufe in der Provinz La Paz. 

Resonating Sculpture VII – Schälung, Sonandes, La Paz/Bolivien 2022

Plasmodiumstrukturgeflecht basiert auf einer Art Familienaufstellung en miniature in Form von Haferflocken, der „Leibspeise“ des Schleimpilzes. Dieser Einzeller bewegt sich auf Futtersuche mäandernd fort und behält dabei in Spuren eine Verbindung mit seinem Ausgangspunkt bei. Diese Spuren (dieses Beziehungsgeflecht) sowie deren Übertragungen in eine Grafit-Zeichnung und in eine mit leitfähiger Farbe bilden das Interface.

Parallel zur Entwicklung mobiler, aus einem zarten, von Kupferbändern durchzogenen Gewebe bestehenden Antennen, die als reines Performance-Instrument zum Einsatz kommen, entstanden Antennen aus Bambus, aus Schilf …, aus mit Kupferpartikel besprühtem Material, das den Ort referenziert, an dem es in der Performance zum Einsatz kommt. 

Der Begriff Skulptur wird durch Hofmüllers Antennen systemisch interpretiert. Er umfasst die diversen Modi der Herleitung der Form ebenso wie die der technischen Gestalt eigene Funktionsweise und die darin gleichsam enthaltene, latent „mitschwingende“ akustische bzw. auditive Gestalt. Diese wird in konzertanter Ausformung temporär konkret. Mit jeder neuen Antenne ergibt sich die Chance, auch etwas Neues hörbar zu machen. Durch das Andere, Neue, das noch nicht empfangen wurde, und das, was in Zukunft möglicherweise empfangen wird, öffnet sich mit diesem Zeitfenster ein Möglichkeitsraum, der in seiner metaphorischen Frequenz potenziell mitzuschwingen beginnt.

Resonating Sculpture VII – Plasmodiumstrukturgeflecht, Wien 2018

Performances / Praxis 

Hofmüller versteht ihre Resonating Sculptures als ein Musikinstrument –probabilistischer Natur. Ähnlich spielbar wie ein Klavier, an dem sich geübte Musiker:innen abarbeiten, bringen die Antennen jedoch Zufall, das Unvorhersehbare und Wahrscheinlichkeiten ins Spiel.

In den Resonating Sculpture-Installationen „oszilliert“ die Software selbstständig durch den gesamten Frequenzbereich; für ihre Performances verwendet die Künstlerin ein einfaches USB-basiertes Empfangsgerät, das eine größere Bandbreite als nur Radio empfängt, die (freie) Software dazu ermöglicht es zu bestimmen, in welchen Frequenzbereich genauer hineingehört werden soll. Dabei werden durch Interferenzen auch elektromagnetische Ereignisse der jeweiligen Nachbarschaft (z.B. das Ein- und Ausschalten eines Radiogerätes, ebenso Wetterphänomene oder Mobiltelefone) detektiert und in das Klanggeschehen integriert. Wissen und Erfahrung, „wo“ diverse Klang-Ereignisse und -Qualitäten erwartbar sind, fungieren als die Quasi-Klaviatur, auf der gespielt wird. Hofmüller: „Aus meiner Klangwelt heraus erschließt sich für mich die Welt.“

Resonating Sculptures Performance, Reni Hofmüller, esc medien kunst labor, Graz 12/2023

Audio file

Resonating Sculptures, Reni Hofmueller - Exzerpt / aufgenommen 12/2023, esc medien kunst labor, Graz

Zu Reni Hofmüller

Reni Hofmüller, * 1966, Hall in Tirol – lebt seit 1989 in Graz. Hofmüller ist Medienkünstlerin und arbeitet hauptsächlich mit Klang (Live-Performance, Installation, Radiokomposition); ein Schwerpunktinteresse gilt dem Thema Raum. Das umfasst physische wie mediale Räume. Im esc medien kunst labor Graz (https://esc.mur.at), in dem sie seit seiner Gründung 1993 in der Programmkonzeption, -gestaltung, -planung und in der Vermittlung tätig ist, konzentriere sich die Betreiberinnen auf Kunst im technologischen Zusammenhang. Das umfasst auch die Auseinandersetzung mit Öffentlichem Raum als Gesellschaftsprojekt und Ort für künstlerische Intervention. In der Auseinandersetzung mit Radio und Internet beschäftigt sie sich primär mit Konzepten freier Software, Open Source und offener Hardware. Hofmüller war maßgeblich an der Entstehung von Radio Helsinki, dem freien Radio in Graz, als auch von mur.at (Plattform zur nichtkommerziellen Nutzung des Internets für Kunst- und Kulturschaffende) beteiligt und ist in beiden Einrichtungen nach wie vor aktiv.

  • 1

    Gemeinsam mit Jogi Hofmüller, Christian Lammer und Patrick Strasser.

  • 2

    H. Skerbisch berief sich bei der mit einem Schwert anstelle der Fackel versehenen Skulptur auf Franz Kafkas Romanfragment „Amerika“.

  • 3

    Ein in seiner Funktion begründetes, sinnlich wahrnehmbares Objekt existiert quasi graduell ebenso im Modus seiner den Sinnen unzugänglichen Funktion. Um ein Klavier als ein Instrument zu erkennen, braucht es die Erfahrung der damit assoziierten Musikerzeugung, andernfalls verhielte es im Modus eines Objekts, Dinges. Als Klavier „realisiert“ es sich im Zustand seiner zweckentsprechenden Verwendung. Eine Antenne empfängt analog in Permanenz. Dabei (unter dem Gesichtspunkt des Verständnisses als Musikinstrument) handelt es sich um eine physikalisch konkrete, natürlich höchst unstete Partitur. In der Eigenschaft des Vorscheins einer möglichen Transformation in Klang ist diese auditive Gestalt – wie z.B. das Kupfer – im Selbstverständnis ebenso wie in der materiellen Existenz der Antenne selbst enthalten.

Heimo Ranzenbacher

Heimo Ranzenbacher (* 1958, Kapfenberg, Steiermark/A) lebt als freier Autor und Künstler in Graz. Er besuchte in Graz die Höhere Technische Bundeslehranstalt Graz, Abt. Gebrauchsgrafik, und studierte Bühnenbild an der Hochschule für angewandte Kunst in Wien und an der Hochschule für Musik und darstellende Kunst in Graz. Seit 1982 ist Heimo Ranzenbacher brotberuflich als Freelancer bei Grazer Tageszeitungen zuerst im Kulturbereich, später (seit 1990) in der redaktionellen Gebietsbetreuung beschäftigt. Von Heimo Ranzenbacher liegen diverse Veröffentlichungen zur Theorie und Praxis der Medienkunst in Büchern, Katalogen und Fachzeitschriften bzw. Herausgaben vor (zuletzt Liquid Music, 2007 und ALLtag, 2012, FIN /3 und FIN /2). Er ist mit Vorträgen bei vielen Symposien vertreten. In den Jahren 1996 bis 2009 war er Redakteur der Buchproduktionen der Ars Electronica, Linz. 1998 gründete er das Projekt Liquid Music, das er bis 2018 leitete. Seit Anfang der 1980er-Jahre ist Ranzenbacher in Organisation und Durchführung diverser, vielfach mit Wissenschaft assoziierter Kunstprojekte tätig. Seine Arbeiten wurden im In- und Ausland (England, Singapore, Slowenien, Kroatien …) und im Rahmen von Festivals (Steirischer Herbst, Ars Electronica ... ) gezeigt.

Artikel von Heimo Ranzenbacher
Originalsprache: Deutsch
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