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Einleitung
„Kommst du mit deinem Plattenspieler vorbei?“
Transceiver ist Tonträger, Kunstwerk und Instrument. Die Hörer*innen sind eingeladen mit der Schallplatte zu experimentieren und gemeinsam zu Hören. Die Vierkanal-Komposition wird erlebbar, wenn die Nadeln zweier sich gegenüberstehender Schallplattenspieler zeitgleich aufgesetzt werden. Es ertönt ein Morsecode-Signal mit dem die beiden Seiten synchronisiert werden können. Die Aufnahmen erklingen zusammen jeweils über ein Lautsprecher paar im Raum. Die berechtigte Frage, wer denn schon zwei Plattenspieler Zuhause hat, wird mit der Aufforderung selbst kreativ zu werden an die Hörer*in zurückgegeben. Die Platten können sowohl in Stereo abgespielt werden, entfalten aber erst in der Quadrophonie ihr räumliches Potential. Weitere Kombinationen, wechselnde Geschwindigkeiten, das Versetzen der Nadel, Rückwärts abspielen und/oder die Verwendung von unterschiedlichen Abspielgeräten sind in guter alter John Cage Manier erwünscht. Die Möglichkeiten sind Vielfältig und sollen zum gemeinsamen Hören und experimentieren einladen. Am Ende jeder Seite erwartet die Zuhörer*innen ein Endlosloop.
Kommunikation über Distanz im Wandel der Zeit.
Inspiriert durch den raschen Wandel von Übertragungstechnologien beschäftigt sich Transceiver mit Kommunikation über Distanz und Randbereiche der analogen und digitalen Informationsübertragung. Schon immer versuchen Menschen über Entfernungen miteinander zu kommunizieren. Mit Pfeifsprachen wie Silbo der Kanarischen Inseln oder Kusköy in der Türkei werden komplexe Nachrichten mit Pfeiflauten kommuniziert. Die Spieler*innen der Manguarétrommeln der Bora im Amazonas oder Sanduhrtrommeln aus Westafrika nutzen eine Art Trommeltelegrafie basierend auf Sprachrhythmen um über bis zu 20 Kilometer kurze Informationen auszutauschen. Txalaparta-Spieler im Baskenland kommunizieren bis heute mit vielschichtigen Erkennungsrhythmen über Distanz. Alle Instrumente sind stromlose analoge Vorfahren der Mobiltelefone.
Obwohl keine Tonaufnahmen der genannten Kommunikationstechniken verwendet wurden, war das Konzept von akustischem Informationsaustausch maßgebliche Inspirationsquelle für das Klangmaterial. Ein Morsecode, der zur Synchronisierung dient, beschreibt die jeweiligen Titel der Seiten im Alphabet der Telegraphie TxRx I/IIII. Während die erste Platte sich durch Texturen und facettenreiche Hallräume auszeichnet, widmet sich TxRx III/IIII den Artefakten von digitaler Kommunikationsübertragung. Radio- und Funkfrequenzen, Flugzeug-Tower-Kommunikation, LKW- und Schiffsfunk sowie Bluetooth- und WLAN-Übertragung wurden mit SDR#(Software defined Radio)-RF Empfängern aufgenommen. Datassette-Audioprogrammierung früher Rechner und sonifizierter Datentransfer zwischen Computern dienten ebenfalls als Klangmaterial.
Je mehr Menschen digitale Kommunikation nutzen, desto komplexer und fragiler wird das Netz der virtuellen Verbindungen. Durch schlechten Empfang und Qualitätskomprimierung entstehen Glitches, Störgeräusche und Interferenzen. Diese Artefakte der modernen Kommunikation füttern in Form von Klangkollagen den zweiten Teil der Komposition. Diese Aufnahmen wurden unter anderem durch Filter, Tempo- und Tonhöhenmanipulation zusätzlich verfremdet. An manchen Stellen ist es damit vielleicht sogar möglich, ein Computerspiel auf seinem Commodore 64 zu installieren. :)
TxRx I/II: Sinuswellen und dünne Jutestäbchen auf Bassdrum mit Grillen und Outdoor-Atmosphäre, rotierende Schlauchtrompete mit Saxophonmundstück in einer Höhle mit Wassertropfen, resonierende Metallskulptur, aufgenommen mit selbstgebauten Piezo-Pickup-Vorverstärkern. Eingespielt von Stefan Voglsinger, aufgenommen von Aras L. Seyhan und Stefan Voglsinger.
Das Tonstudio im Freien
Der Aufnahmeprozess bewegte sich zwischen elektroakustischer Klangforschung und Reamping-Aufnahmen im Freien. Diese Aufnahmen wurden über Körperschallwandler auf den Resonatoren abgespielt und regten die Eigenresonanzen der Objekte und ihrer Umgebung an. Zwei zentrale Objekte waren eine 19“-Base-Drum und eine Satellitenschüssel, die als Lautsprecher (Resonatoren) und Instrumente verwendet wurden. Umgebungsgeräusche und Live-Manipulationen der Mikrofone und Resonatoren schrieben sich in die Tonspur ein und verschmolzen mit den Hallräumen zu einem komplexen Klangkörper. Ausgangsmaterial waren Field Recordings, RF-Übertragungen und Sinuswellen, die als polyrhythmische Tremolo Vibrati über die Körperschallwandler auf die Objekte übertragen wurden.
Dazu wurden die Oberflächen der Instrumente durch mikrotonales Wischen, Kratzen, Pinseln und Anschlagen live bespielt. Die Aufnahmen in der Kirche wurden durch Tonbandgeräte und Elektronik wie analoge Filter, Bit Reducer und Vorverstärker gefärbt. Es wurden keine zusätzlichen digitalen Halleffekte verwendet.
Orte und Unorte
Für die Outdooraufnahmen begaben sich Aras L. Seyhan und Stefan Voglsinger an verschiedene akustisch spannende Orte und Unorte in Wien und Umgebung. Mit einem mobilen Aufnahmesetup wurden die Hallräume ausgelotet – unter Brücken, im Wienfluss, einer Höhle, im Klavier, auf der Donauinsel, in Wohnhausgängen, auf Metallskulpturen, in Abflussrohren und in der Natur. In jedem Schritt einer neuen Aufnahme wurde eine zusätzliche Manipulation in das Klangmaterial eingeflochten. Dabei spielten die Distanz zur Klangquelle, Positionen der Mikrophone, Live-Transducer-Manipulation und die Einbindung der Umgebungsgeräusche eine maßgebliche Rolle.
Im Studio wurden diese Aufnahmen gemischt und neu arrangiert. Es entstand eine quadrophonische Klanglandschaft mit akustischen Zeitsprüngen und unerhörten Perspektiven eigenartiger Orte.
TxRx III/IIII: Bandpassgefilterte Datassette, RF-Empfänger, No-Input-Mixer und Geigenbogen auf Satellitenschüssel mit Rückkopplungskette über Klavierkorpus, tonhöhenveränderte Radio- und Glockenklänge in der Höhle. Eingespielt von Stefan Voglsinger, aufgenommen von Aras L. Seyhan und Stefan Voglsinger.
Release
Die Cover der Doppel 12" sind individuell gestaltet und handbedruckt. Die Grafik des handgemachten Gate-Fold Covers zeigt die Resonatoren und Umrisse monochromer Platinenteile. TxRx II/IIII läuft im Vergleich zu I/II Inside-Out, also quasi Rückwärts. Die dadurch beim gleichzeitigen Abspielen konträr laufenden Frequenzgänge wurden im Arrangement dafür angelegt und spiegeln die Gegenspieler von Empfänger und Senderseite wieder.
Die Doppelvinyl wird auf Mamka Records veröffentlicht. Das Wiener Label, entstanden aus dem Verlangen nach einem Raum, in dem jede Produktion als eigenständiges Kunstwerk betrachtet und gefeiert wird, einzigartig in seiner Art. Mamka veröffentlicht Statements. Klein, aber mächtig, findet das Label in allen möglichen Formaten, abseits von bestehenden Normen und technischen Standards, seine Heimat. An der Schnittstelle zwischen zeitgenössischer experimenteller Musik, bildender Kunst, Literatur, handgefertigter Elektronik und Liebe zum Detail symbolisiert Mamka Risiko, Konfrontation, wohlwollenden Radikalismus und die Besonderheit des Einzigartigen.
Der offizielle Release von Transceiver findet im Herbst 2024 im echoraum in Wien statt.
Stefan Voglsinger
Stefan Voglsinger (*1986) ist ein in Wien lebender Musiker und Performer. Er studierte Schlagzeug am Vienna Music Institute, Musik- und Bewegungspädagogik an der Universität für Musik und darstellende Kunst Wien sowie Sounddesign für Film an der Escuela Internacional de Cine y Television in Kuba. Stefan Voglsinger experimentiert interdisziplinär und arbeitet mit Klang und Bild. Er entwickelt Performances und audiovisuelle Installationen mit selbstgebauten und gehackten elektronischen Schaltungen. Im Setzkasten - Studio, Labor und Veranstaltungsraum zugleich - modifiziert er analoge Filmprojektoren, arbeitet in der Dunkelkammer und im Tonstudio. Regelmäßig organisiert er Konzerte, transdisziplinäre Abende und gibt Circuit Bending Workshops bei Festivals und in Schulen. Er arbeitet im Filmmuseum Wien, ist Co-Kurator der Klangmanifeste und spielt mit dem Gemüseorchester.
Artikelthemen
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