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Als ich den amerikanischen Komponisten und Klangkünstler Bruce Odland 1987 auf der Ars Electronica zum ersten Mal traf – ich wurde vom Festivalleiter eingeladen, Bruce bei seiner Installation zu assistieren –, wurde in unseren ersten Gesprächen sehr schnell klar, dass unsere jeweiligen Zugänge zur Welt auditiv sind. Wir waren beide der festen Überzeugung, dass unsere täglichen Hörgewohnheiten bestimmen, wie wir Musik und Klang wahrnehmen. Die Fokussierung auf Klanginstallationen/Kompositionen im öffentlichen Raum war für uns ein logischer nächster Schritt. Zwei Jahre später gründeten wir O+A und nutzten den Begriff Hearing Perspective (Hörperspektive), um unseren gemeinsamen Ausgangspunkt für unsere künstlerischen Erkundungen zu beschreiben und um gemeinsam auditive Kunst zu produzieren.
Um 1993 herum, nach mehreren großen Installationen im Freien, schauten wir uns unsere Situation an. Wo setzen wir an und welchen Fragen gehen wir nach? Dieser Text von damals und die Sound Stories beleuchten einander:
O+A Hearing Perspective (Hörperspektive)
Seit der Renaissance haben wir uns auf eine Sprache für das Visuelle geeinigt, darauf wie wir Bilder und Räume beschreiben. In der Welt der Klänge und Geräusche müssen wir solche Werkzeuge und Fähigkeiten erst entwickeln. Wo Worte nicht einmal in der Lage sind, zum Beispiel die komplexen Wellenformen einer städtischen Umgebung zu beschreiben, geschweige denn, was diese Klänge mit uns machen und wie sie uns fühlen lassen, verlieren wir uns im Lärm, ohne Sprache für Diskussionen.
O+A lernen, unserer Klangumgebung einen Sinn zu geben, indem sie aufmerksam zuhören, hinhören, sie erforschen und dabei versuchen ihre kulturelle Wellenform als eine Sprache zu verstehen. In einer primär visuellen Kultur, in der das Gros aller Entscheidungen auf visueller Logik beruht, müssen wir feststellen, dass das ein Denken mit den Ohren eine ganz andere Geschichten erzählt. Warum klingt der MOMA Sculpture Garden – die Bastion der High Art – wie ein Taxistand in Midtown NYC? Warum ist ein teures "leises" Auto nur dann leise, wenn man im Auto ist?
O+A sammelt, filtert und erweitert Resonanzen, die in der Natur und in Städten zu finden sind, und versucht, ihre Bedeutung zu erschließen. Diese Klänge werden oft aus unserem mentalen Bild von Raum als "Lärm" ausgeschlossen. Durch das Hören und Studieren solcher Geräusche werden sie zu hilfreichen Klangquellen. Bei näherer Betrachtung dieser Klänge offenbart sich oft eine verborgene Musik mit spannenden Details, Eigentönen und Obertönen, ja sogar ein potenzieller melodischer Anspruch. Wir sammeln dieses Material und archivieren es als ein Alphabet of Sounds.
O+A entwickelt kompositorische Werkzeuge, um Klangumgebungen zu formen und zu verändern. Diese Werkzeuge ermöglichen es uns, das harmonische Material aus dem Stadtlärm zu extrahieren, es zu filtern, zu formen und im gleichen Moment wiederzugeben, um die Gefühle, die Atmosphäre und das Sounddesign dieser Umgebung zu verändern. Dabei werden Melodien extrahiert und verborgene Stimmen hörbar. Dies verändert die Psychoakustik eines Ortes, verschiebt die emotionale Landschaft und ermöglicht es den Menschen vor Ort, die (Um-) Welt mit ihrem "musikalischen" Gehirn wahrzunehmen, anstatt mit dem Teil, der Lärm und Geräusche entschlüsselt.
O+A importieren keine exotischen Klänge an unsere Installationsorte, sondern destillieren musikalische Informationen aus dem jeweiligen Umgebungslärm. Die kompositorisch gewählten Obertöne der sammelnden Resonatoren erzeugen einen reichen, harmonischen Akkord, der die Wahrnehmung des Raumes verändert und seinen ästhetischen Wert auf tiefgreifende und unerwartete Weise erhöht.
Um die an einem Installationsort vorgefundenen musikalischen Resonanzen für die Menschen/Öffentlichkeit erfahrbar zu machen, müssen eine Reihe von ästhetischen und kompositorischen Entscheidungen getroffen werden. Fragen – z.B. Wie wird dieser Ort im Alltag genützt? Wie ist sein Rhythmus? Wie kann man darin eine harmonische Wahrnehmungsverschiebung erzeugen? Wo im architektonischen Gefüge ist der akustische Brennpunkt? Welche visuellen Aspekte des Ortes erzeugen einen brauchbaren Rahmen um zuzuhören – werden gestellt und erforscht.
Wenn O+A mit der Arbeit an einer Klanginstallation im öffentlichen Raum beginnen, ist der Umgebungsklang immer ihr Ausgangspunkt. Es wird der Architektur, der Geschichte , der Akustik und der sozialen Dynamik eines Ortes Rechnung getragen. Oft finden sie eine große Diskrepanz zwischen der auditiven und visuellen Anmutung eines Ortes. Eine genau geplante visuelle Ästhetik, gelassen, konzentriert oder machtvoll kann gut im auditiven Chaos aus Hubschraubern, Medienklängen und Signalhörnern existieren. Die Herausforderung ist, in diesem Chaos Informationen zu finden, die wir hörend verarbeiten können und dabei unseren auditiven Lebensraum mit einer harmonischeren Version der Realität wieder zu beleben. (Croton on Hudson NY 1993)
Im Laufe der Jahre haben wir so ein Installationsformat entwickelt und nach seinem Hauptprinzip Resonanz-Installationen genannt. Anfang 1992 entdeckten wir bei der Arbeit an einer Installation im Forum Trajanum in Rom, einem Aufbewahrungsort für römische Amphoren, zufällig, dass wir sie als Resonatoren für die verkehrslastige Atmosphäre verwenden konnten, die in das fenster- und türlose Gebäude eindrang.
Schließlich nannten wir die Installation Traffic Mantra; sie zeigte einen spürbaren Stimmungsumschwung hin zur Ruhe bei den Menschen vor Ort.
Römische Amphoren im Forum Trajanum Rom, 1992
O+A kompositorische Werkzeuge
Resonanzrohr
Nachdem wir römische Amphoren verwendet hatten, um die tatsächliche Atmosphäre eines Ortes zu filtern und zu transformieren (indem wir ein Obertonspektrum auf einem ausgewählten Grundton verstärkten), entwickelten wir das Resonanzrohr. Dieses ermöglicht uns, die Stimmung mit der Länge des Rohrs zu definieren und indem wir das Mikrofon im Rohr an einer bestimmten Obertonposition anbringen, wird dieser Oberton im transformierten Klang verstärkt.
Die Skizze zeigt die Position eines Mikrofons an der Stelle, wo sie drei Siebtel der Rohrlänge markiert.
Das linke Spektrogramm zeigt die reine Aufnahme, das rechte die Resonanzröhre, die die Aufnahme transformiert.
Die Lautsprecher, die für die spezifischen Installationen verwendet werden, sind das zweite Kompositionswerkzeug, das wir ständig weiterentwickeln. Schon bei unserer ersten Installation, „Im Garten der ZeiTräume“, in Linz (1990) konnten wir keine Standardlautsprecher verwenden, da ihr Aussehen und ihre Schallwellenausbreitung die von uns angestrebte Erlebnismöglichkeit beeinträchtigt hätten.
Soundstone Speakers
Harmonic Gate, Europaallee, Zürich (CH), since 2022
Ramp - Loudspeaker
Quiet is the New Loud, Triennale Bruegge (BE) 2015
Planet -Speakers
Planet Speaker, GdZ Linz (A) 1990 [17]; Red Sphere-Loudspeaker, Frankfurt (D) since 2011
Performance Loudspeaker
Flying Mylar-speaker – QNL, Bruegge (BE) 2015 [19]; Parabolic Loudspeaker - City-Ears, Nice (F) 1995
O+A Sound Stories
Neben der Vertiefung dieses Arbeitsprinzips bei der Umgestaltung eines Ortes sind wir im Laufe der Jahre auch unserer allgemeinen Neugierde in Bezug auf Klang und Materialien gefolgt. Das Erfinden von Instrumenten und Schnittstellen, um mit Kräften der Natur wie Wasser und Wind zu spielen und unsere urbanen Lebensräume hörend zu erforschen, ist ein ständiges Thema in unserer künstlerischen Praxis und Forschung.
Vor einem Jahr hatten wir die Idee, unsere Arbeit zugänglicher zu machen, und als wir all unsere Materialien durchgingen, beschlossen wir, dieses Videoarchiv zu erstellen, das bereits mehr als 45 Videos enthält, und wir mit folgendem kurzen Text öffentlich machten:
O+A Sound Stories enthält eine Sammlung von kurzen Videos, die im Laufe der Jahre während der gemeinsamen Arbeit an Projekten entstanden sind. Die Videos erzählen einerseits von akustischen und psychoakustischen Phänomenen, von musikalischen Situationen und davon, wie wir forschen und arbeiten. Andererseits hinterfragen sie unsere meist urbanen Lebensräume mit einer Hearing Perspective und einem Denken mit den Ohren. Wir erforschen und entschlüsseln ständig die Welt um uns herum, indem wir aufmerksam zuhören. Wir glauben, dass wir uns nicht als Kultur verstehen werden, solange wir unseren Lärm nicht verstehen. ( O+A Croton on Hudson NY 2022)
O+A Sound Stories ist in 3 Playlisten gegliedert:
- Sound Stories - mit allen Videos, einschließlich Experimenten, Studien und auditiven Situationen, Installationen und Performances
- Wir wünschen viel Spaß, und denken Sie mit den Ohren! Weitere Videos werden folgen.
- https://www.youtube.com/@oasoundstories
Sam Auinger
Sam Auinger ist Klangdenker, Komponist und Klangkünstler. Seine künstlerische Forschung konzentriert sich auf die Vertiefung des Verständnisses von akustischen/auditiven Qualitäten in urbanen Lebensumgebungen. Er propagiert ein "Denken mit den Ohren". Für ihn ist es eine wichtige Alltagspraxis, um unsere Rolle in einem gefährdeten planetaren Klima auf allen Ebenen zu verstehen, von der sozialen bis zur ökologischen. Zusammen mit dem Künstler Bruce Odland gründete er 1989 O+A. Ihr zentrales Thema ist die Hörperspektive. Sie sind bekannt für ihre permanenten Klanginstallationen im öffentlichen Raum und Tuning – Transformationen von Klang in Echtzeit. Beispiele: Harmonic Bridge MassMoca (US) seit 1998, Sonic Vista Frankfurt (D) seit 2011 und auf der documenta 14 u.a. mit "Symphony of Resonances" in Thessaloniki (GR) 2017.
Bruce Odland, Klangdenker, Komponist, Klangkünstler, begann seine Karriere als klassisch ausgebildeter Komponist. Seine Ohren führten ihn dazu, jahrelang die fraktalen Melodien und Rhythmen der Natur aufzunehmen. Seine erste groß angelegte Klanginstallation, die auf diesen Aufnahmen basierte, "Sun Song", fand 1977 in Colorado statt. 1981 wurde er Direktor für Sound und Musik am Denver Center und war maßgeblich an der Entwicklung neuer Ideen für immersives Sounddesign für das Theater beteiligt. Er ist ein Künstler, der mit den Ohren denkt. Er hat seine Sensibilität für die Zusammenarbeit mit vielen seiner Helden zur Verfügung gestellt; Laurie Anderson, Peter Sellars, Wally Shawn, die Wooster Group, JoAnne Akalaitis und Andre Gregory. Er hat preisgekrönte Arbeiten in Museen, Radio, Theater, Film und digitaler Kunst gemacht. 1989 gründeten Bruce Odland und Sam Auinger O+A und schufen eine Reihe von Installationen, die den Lärm der Stadt in Echtzeit in Harmonie verwandeln, als eine menschliche, ortsbildende Geste. Gemeinsam entwickeln sie eine "Hörperspektive" auf die Welt. Er ist Gründer des TANK Center for Sonic Arts.
Artikelthemen
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