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Willkommen in der Welt des Spatial-Audio; oder 3D-Audio; oder Immersive-Audio?! Ich, Martin Rieger von VRTonung, nehme euch als 3D-Audio-Produzent mit auf unserer akustischen Reise. Das möglichst ohne sich dabei an theoretischen Begriffen des Surround-Sounds aufzuhängen. Vielmehr geht es heute um die eigentliche 3D-Audio-Bedeutung im praktischen Sinne.
Doch obwohl 3D-Audio noch relativ neu ist, kursieren bereits viele Mythen rund um diese Technologie. Daher fangen wir bei einer einfachen Erklärung an, bis wir uns zu den praktischen Anwendungen im Kontext von Live-Erlebnissen vorarbeiten.
Was ist 3D-Audio?
Das Konzept hinter Spatial-Audio ist einfach, doch revolutionär. Es beschreibt ein Wiedergabeverfahren, das es ermöglicht, Sound nicht nur von vorne, links und rechts (wie bei Stereo) oder von hinten (wie bei Surround-Sound), sondern auch von oben oder unten wahrnehmbar zu machen (3D-Sound eben).
Aber warum gilt das als Game-Changer? Wir Menschen hören von Natur aus dreidimensional. Wir verorten die Quelle des Klangs automatisch, wenn jemand hinter uns steht und spricht, ohne dass wir diese Person sehen müssen. Die technische Möglichkeit, diesen natürlichen Klangeindruck künstlich nachzubilden, eröffnet ganz neue audiovisuelle Erfahrungen.
Im Kontext von Spatial Audio wird oft von „immersivem Audio“ gesprochen. Gemeint ist ein umhüllender, natürlicher Sound, der es uns ermöglicht, in die digitale Realität einzutauchen und die physische Welt um uns herum zu vergessen – ähnlich der Immersion, die VR-Brillen mit visuellen Inhalten bieten, nur eben auf den Ton bezogen.
Idealerweise sollten alle Sinne in dieses immersive Erlebnis einbezogen werden. Und obwohl bereits Bild und Ton für die meisten Medien ausreichen, um uns in ihren Bann zu ziehen, zeigt sich: Selbst Stereo oder Mono können immersiv sein, wenn sie gut umgesetzt sind. Bei einer DJ-Performance in einer Disco beispielsweise lassen sich Menschen von der Musik mitreißen, auch wenn diese über nicht mehr als zwei Audiokanäle verfügt. Aber es kann schon noch immersiver sein, doch dazu später mehr.
Daher bevorzuge ich den Begriff „3D-Audio“, da er die Vorstellung weckt, eine Technik zu nutzen, die Klänge aus allen Richtungen erlebbar macht.
Wie kann man 3D-Audio hören?
Lassen wir uns nicht von den ganzen 3D-Audio-Formaten wie Dolby-Atmos, MPEG-H etc. verwirren. Wir brauchen aber schon gewisse Geräte, um zuhause oder bei Events in den Genuss vom 3D-Sound kommen zu können.
- viele Lautsprecher um uns herum
- ganz normale Kopfhörer
Schauen wir uns die Zuspieler kurz im Detail an. Spoiler: Viele Künstler und Tonleute schmeißen sich gerade auf das Thema Lautsprecher und Surround-Systeme. Ich finde aber die Zweikanal-Musikwiedergabe, die selbst über handelsübliche Kopfhörer einen räumlichen Höreindruck erzeugen kann, viel spannender.
Natürlich gibt es noch weitere Möglichkeiten, beispielsweise mit Kopfhörern mit Head-Tracking oder VR-Brillen. Diese Geräte tauchen in meiner 3D-Audio-Matrix auf und werden gerne mit 3 oder 6 Freiheitsgraden assoziiert. Doch wir wollen uns für den 3D-Sound einmal auf die beiden "einfachsten" Geräte konzentrieren.
Immersive Lautsprecher-Systeme
Die gute alte Methode, aber mit einem futuristischen Twist. Stellt euch vor, ihr sitzt in eurem Wohnzimmer, umgeben von Lautsprechern, die so clever platziert sind, dass der Sound nicht nur von vorne, hinten, links und rechts kommt, sondern auch von oben und unten! Ja, das bedeutet ein bisschen Aufwand in Sachen Einrichtung, aber das Ergebnis ist es wert. Ihr werdet Flugzeuge über eure Köpfe hinwegfliegen hören, als wärt ihr direkt unter der Einflugschneise – ohne die Unannehmlichkeiten eines echten Flugzeugs, versteht sich.
Das funktioniert im Heimkino-Bereich mit der richtigen Soundbar oder Smart-Speakers schon recht gut. Wer dazu mehr lesen möchte, findet hier heraus, wie das funktioniert. Hier kommt man nicht am Thema Dolby-Atmos vorbei.
Im Kontext von Livemusik hat man aber einen anderen Raum, den man beschallen möchte. Daher gibt es hier eine Reihe von anderen Herstellern aus dem Bereich Hi-Res-Audio, doch dazu später mehr.
Immersive Audio mit Kopfhörern
Jetzt wird's persönlich. Für diejenigen unter euch, die es vorziehen, in ihre eigene kleine Welt einzutauchen, sind Kopfhörer der Schlüssel zum Glück. Das macht das Thema für mich zugänglicher als über ein Dutzend Lautsprecher, die man sonst bräuchte.
Aber wie funktioniert das eigentlich? Ohne zu sehr ins technische Detail zu gehen, nutzen diese Technologien cleveres Audio-Processing, um einen dreidimensionalen Klangraum innerhalb eurer Kopfhörer zu erschaffen. Man kann den Klang etwa mit speziellen Mikrofonen aufnehmen, oder in der Post-Produktion "Spatialisieren".
Es fühlt sich an, als ob die Klänge aus verschiedenen Richtungen und Entfernungen kommen – eine echte audiovisuelle Illusion!
Real vor Ort: Immersive Beschallung
Gehen wir mal mit dem Raumklang in die Praxis und stellen uns ein Konzert- oder Live-Event in einer typischen Location vor. Hier würde ich wieder anhand von Lautsprechern und Kopfhörern ins Detail gehen, wie man sich das 3D-Format zu Nutze machen kann.
Immersive Beschallung mit Lautsprechern
Bei traditionellen Beschallungssystemen, insbesondere in Stereo, ist das beste Hörerlebnis oft in der Mitte zwischen den beiden Hauptlautsprechern zu finden. Der Grund dafür ist das Phänomen der Phantomschallquelle, bei der sich die Klänge beider Lautsprecher in der Mitte zu einem scheinbar einheitlichen Klangbild vereinen. Doch sobald man sich von diesem zentralen Punkt entfernt, beginnt das Klangfeld auseinanderzufallen, man hat eher einen Klangbrei auf einem Ohr.
Erkennung und Eliminierung von Phantomschallquellen
Die immersive Beschallung vor Ort durchbricht die traditionellen Grenzen der Audioerfahrung, indem sie innovative Lautsprecheranordnungen nutzt. Effektiv hat man nicht nur Lautsprecher links und rechts der Bühne, sondern mittiger verteilt. Ziel ist es, ein Klangfeld zu erschaffen, in dem die Position des Publikums nicht mehr ausschlaggebend für die Klangqualität ist.
Vorteil von für die Zuhörer
Einer der Schlüsselaspekte hierbei ist die Übereinstimmung des Gehörten mit dem Gesehenen, insbesondere bei Live-Performances. Wenn beispielsweise ein Musiker auf der linken Seite der Bühne spielt, sollte der Klang auch aus dieser Richtung kommen. Dies erhöht nicht nur die räumliche Wahrnehmung, sondern ermöglicht es dem Publikum auch, die einzelnen Instrumente differenzierter und klarer zu identifizieren – ein deutlicher Vorteil gegenüber der Frontalbeschallung durch den "Wall of Sound" herkömmlicher Beschallungsmethoden.
Die Hardware biete Raum für Kreativität
Darüber hinaus eröffnet die räumliche Anordnung von Lautsprechern um das Publikum herum neue Möglichkeiten für kreative Experimente. Selbst wenn eine Performance hauptsächlich vor dem Publikum auf einer Bühne stattfindet, können durch die gezielte Platzierung von Lautsprechern rund um die Zuhörer*innen interessante und unerwartete Effekte erzielt werden.
Hier werden Elemente eines Songs meist wild durch die Gegend bewegt. Klar sollte man es nicht übertreiben, aber erlaubt ist, was funktioniert. Dies kann das immersive Erlebnis verstärken, indem es den Raumklang nutzt, um eine tiefere Ebene der Einbindung und des Erlebens zu schaffen.
Immersive Kopfhörer Events
Das Konzept des immersiven Spatial-Audio lässt sich nicht nur auf traditionelle Lautsprechersysteme anwenden, sondern findet auch in kopfhörerbasierten Anwendungen wie Silent Discos innovative Anwendung. Diese Technologie ermöglicht es DJs und Performern, das Publikum in eine völlig neue Welt der Klänge zu entführen, indem jeder Zuhörer individuell über Kopfhörer mit räumlichem Klang versorgt wird. Es mag auf den ersten Blick simpel erscheinen – der DJ verbindet sich, und das Erlebnis kann starten. Doch die Möglichkeiten, die sich durch die Integration von 3D-Audio eröffnen, gehen weit darüber hinaus. Siehe: Kopfhörer Disco: Eine neue Dimension für Live-Events mit 3D-Audio
Ein besonders eindrucksvolles Beispiel ist die Nutzung von 3D-Audio in Verbindung mit Visuals oder sogar in virtuellen Realitäten (VR), wo die Grenzen zwischen akustischer Wahrnehmung und visueller Erfahrung verschwimmen. Ein konkretes Projekt, an dem ich beteiligt war, illustriert das Potenzial der Technologie des 3D-Audiostreaming:
Eine Theaterproduktion, die über Kopfhörer ein dreidimensionales Klangerlebnis bot und so die Zuschauer*innen auf eine ganz neue Art und Weise in das Geschehen auf der Bühne einzog. Durch die präzise Platzierung von Klängen im dreidimensionalen Raum konnten Emotionen und Atmosphären auf eine Weise vermittelt werden, die mit herkömmlichen Beschallungsmethoden nicht möglich wären. Weitere Informationen zu diesem Projekt finden Sie auf meiner Website.
Diese Entwicklungen eröffnen eine Welt voller neuer kreativer Möglichkeiten für Künstlerinnen und Technikerinnen, um Publikum auf noch nie dagewesene Weise zu faszinieren und zu engagieren.
Mobile immersive Erlebnisse
Doch man muss nicht an eine Eventlocation gebunden sein. Immer öfter gibt es auch mobile Installationen oder gar Open-Air-Erlebnisse mit immersivem Charakter. Hier steht im Fokus nicht die Beschallung von einem speziellen Ort. Sondern die Besucher*innen können sich frei im Raum bewegen, womit die Technik weiter in den Hintergrund rückt.
Immersive Klanginstallation
3D-Audio revolutioniert die Art des Einsatzes von Klang an verschiedensten Orten präsentieren, indem immersive Umgebungen erzeugt werden, in denen die Besucher*innen auf eine auditive Reise gehen. In Museen ermöglicht 3D-Audio, dass Ausstellungsstücke und Kunstwerke durch passende Klanglandschaften zum Leben erweckt werden, wodurch ein tieferes Verständnis und eine stärkere emotionale Bindung entstehen.
Auch Kirchen können mit 3D-Audio umfunktioniert werden, um spirituelle, historische oder künstlerische Erzählungen zu verstärken. Durch die Platzierung von Lautsprechern in strategischen Punkten innerhalb des Raumes wird eine akustische Umgebung geschaffen, die die Architektur und sakrale Atmosphäre der Kirche nutzt. Meist werden Projektionen in Form von Videos an die Wand geworfen, um ein immersives Erlebnis zu bieten.
Hier hatte ich ein kleines Projekt im Deutschen Museum mit einer Kombination von Tablets, VR-Brillen und weiterer Technik. Es kann also schon eine ziemliche Hardware-Schlacht werden – solange es sich lohnt. Siehe: Quintessenz: Eine multisensorische, immersive Klanginstallation
Sound-Walks
Audio-Guides kennt man, diese erleben gerade eine Renaissance. Sogenannte Sound- Walks nutzen räumliches Audio in Kombination mit GPS oder Bewegungsdaten. Bei einem Sound-Walk werden Teilnehmer*innen durch eine speziell kuratierte Audioführung geleitet, die über Kopfhörer abgespielt wird. Diese Führungen sind oft mit der physischen Umgebung synchronisiert, in der sie stattfinden, und bieten eine einzigartige Möglichkeit, Orte durch die Kombination aus realer Welt und klanglicher Gestaltung neu zu entdecken.
Durch den Einsatz von 3D-Audio werden Klänge so im Raum positioniert, dass sie mit den Bewegungen der Teilnehmer*innen interagieren. Beim Durchqueren verschiedener physischer Umgebungen können die Klänge sich ändern, verschieben oder entwickeln, was zu einem tiefen Eintauchen in die audiovisuelle Erzählung führt. Meinst in Kombination mit einem Smartphone und dem Erfassen der Kopfbewegungen (Head-Tracking).
Erweiterte Realität (AR) spielt eine entscheidende Rolle bei der Weiterentwicklung von Sound-Walks. Durch AR können zusätzlich mit dem räumlichen Audio synchronisierte visuelle Elemente über die reale Welt gelegt werden, , um eine noch umfassendere immersive Erfahrung zu schaffen. Beispielsweise könnten historische Szenen oder fiktive Charaktere in der Umgebung erscheinen, synchronisiert mit dem 3D-Audio, um Geschichten auf eine Weise zu erzählen, die sowohl auditiv als auch visuell fesseln.
Hier ein Video, wie man sich einen Sound-Walk durch Leipzig vorstellen könnte. Man sieht und hört auch eine immersive Audio-Pionier-Klanginstallation:
Virtuelle Realitäten, Spatial Computing, Metaverse, XR
In der Ära digitaler Innovationen (in der Überschrift finden sich sämtliche Begriffe, die irgendwie das gleiche meinen) eröffnet Spatial-Audio neue Dimensionen für Streaming und digitale Events, indem es eine immersive Klanglandschaft schafft, die die Grenzen herkömmlicher Audioerfahrungen sprengt. Online-Veranstaltungen – ob Konferenzen, Konzerte oder Theateraufführungen – werden durch den Einsatz von räumlichem Klang aufgewertet, indem sie den Teilnehmer*innen das Gefühl vermitteln, mitten im Geschehen zu stehen. Mein Artikel von Event-Partner hebt hervor, wie Spatial-Audio Online-Erlebnisse bereichern kann. Dort gehe ich bereits auf Video-Livestreams, Videokonferenzen und virtuelle Eventplattformen ein.
Doch durch den Hype um die neue Apple Vision Pro möchte ich nochmal auf das Thema virtuelle Festivals im 3D-Raum eingehen:
Die Evolution von Spatial-Audio spielt auch eine entscheidende Rolle in der Entwicklung von Metaverse-Festivals. Das Metaverse – eine kollektiv geteilte virtuelle Realität – bietet eine Plattform für Festivals und Veranstaltungen, die frei von physischen Einschränkungen sind. Hier können Teilnehmer*innen aus der ganzen Welt in virtuellen Umgebungen zusammenkommen, die durch Spatial-Audio zum Leben erweckt werden. Beispiele wie Fortnite, das bereits Konzerte in seiner virtuellen Welt veranstaltet hat, oder Avatar-basierte Events, zeigen das Potenzial dieser Technologie, eine neue Ära der Festivalerfahrung einzuläuten – teils jetzt schon mit Millionen von Nutzer*innen, die weltweit gleichzeitig das Musikstreaming nutzen konnten.
Doch die Realisierung von Festivals im Metaverse mit Spatial-Audio steht auch vor Herausforderungen. Es ist selbst mit der besten Technologie nicht so einfach für den Ton, die richtige 3D-Kompatibilität zu integrieren. Und aus kreativer Sicht wird meist einfach der Fokus auf das Filmen gelegt, für den Sound recht dann vermeintlich 2-Kanal-Stereo-Sound.
Über die verschiedenen Plattformen, und 360 Video Produktionen in Kombination mit 3D Musik, habe ich schon mehrfach auf meinem Blog berichtet.
Bedeutung von 3D-Audio und Erklärungen für die Zukunft
Die Einführung von 3D-Audio für die breite Öffentlichkeit ist sowohl mit technischen als auch mit finanziellen Herausforderungen verbunden. Aktuell wird intensiv diskutiert, inwieweit die Kosten für die Implementierung von 3D-Audio-Systemen im Vergleich zu traditionellem Stereo-Sound gerechtfertigt sind. Während Stereo-Audio seit Jahrzehnten etabliert und kosteneffizient ist, erfordert Spatial-Audio eine erhebliche Investition in neue Technologien, sowohl für Konsument*innen als auch für Produzent*innen.
Schließlich ist eine kritische Reflexion über die Grenzen von 3D-Audio essenziell, um eine ausgewogene Perspektive zu bieten. Dies beinhaltet die Diskussion möglicher unerwünschter Effekte oder technischer und kreativer Herausforderungen, die bei der Implementierung von Spatial-Audio auftreten können. Eine solche Betrachtung hilft, die Erwartungen realistisch zu halten und Anwendungen im Bereich Live-Experiences zu finden, die auch einen wirklichen Mehrwert haben.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Zukunft von 3D-Audio vielversprechend ist und durch Innovationen in anderen Bereichen, von Dolby Atmos Music bis AirPods – befeuert wird. Die fortschreitende Entwicklung und Integration von Spatial-Audio in unser tägliches Leben hat das Potenzial, die Art und Weise, wie wir Klang erleben und damit interagieren, grundlegend zu verändern.
Martin Rieger
Martin Rieger (VRTonung) öffnet die Türen zu neuen Dimensionen des Hörens mit 3D-Audio. Jenseits von Musik und Dolby Atmos entdeckt er innovative Hörerlebnisse durch die Verschmelzung von Technologie und Kreativität. Als Pionier in immersivem Audio reist er weltweit für XR-Produktionen und perfektioniert diese in seinem Münchner Studio. Mit seinem ganzheitlichen Ansatz fungiert auch als Berater und Coach, um den Klang in virtuellen Welten mit dir zum Leben zu erwecken.
Artikelthemen
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