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Anhand einer kleinen Auswahl von Arbeiten möchte ich einige dieser Prozesse vorstellen. Außerdem möchte ich danach fragen, wie sich diese Orte in ihrer Definition verändern und wie sie in Zukunft klingen könnten. Auch wenn der geschichtliche Begriff der „musique concrète“ da und dort durchschimmert, möchte ich meine Überlegungen davon losgelöst anstellen.
1. Lärm als akustischer Baustoff
Eine meiner frühen Arbeiten, die sich mit Transformation von konkretem Klangmaterial ins abstrakte Musikalische befassen, ist meine 10-kanalige Klanginstallation „Beton“(2000/01). Während mehrerer Besuche auf Baustellen, bei denen Betonteile herausgesägt und geschnitten wurden, sammelte ich akustischen Baustoff: sogenannten Lärm, unvermeidbares Nebenprodukt der Arbeit mit Beton. In die Schichten dieses Lärms einzudringen, Geräusch- und Klangschichten freizulegen, der Prozess des Sägens, Öffnens und schließlich Zertrümmerns des Materials sind Ausgangspunkt der kompositorischen Arbeit, damals mit dem Programm CDP (Composers Desk Project) gerechnet. Ein Baustellenprotokoll mit den durchgeführten Arbeiten wie Vorbohrungen, waagrechte und senkrechte Sägeschnitte, Demontage, Cracken einerseits und die Proportionen von Raum und gesägter Öffnung andererseits sind Grundlage für die musikalische Struktur. Konkrete räumliche Veränderungen werden zu abstrakten kompositorischen Vorgangsweisen.
Im vorletzten Teil der Arbeit werden 40 Frequenzen geschichtet, alle Tonhöhen aus einer Obertonreihe mit Werten der Proportionen aus Raum und eines herausgesägten 6-teilgen Beton-Objekts errechnet. Dieses klangliche Spektrum steht sozusagen für die vor Ort tatsächlich existierende Wand. Aus ihr werden hintereinander insgesamt 6 klangliche Blöcke geschnitten bzw. gefiltert, so wie es tatsächlich auf der Baustelle durchgeführt wurde. Eine stetige Änderung der Klangfarbe ist das musikalische Ergebnis.
Die sechs herausgeschnittenen Klangblöcke werden wiederum Grundmaterial für den nächsten und letzten Teil, in dem granulare Prozesse im Mittelpunkt stehen. Es entspricht dem konkreten materiellen „Cracken“ von Beton.
Die aus dem Beton herausgeschnittenen Rechtecke spiegeln sich grau in der grafischen Partitur wider. Die farbigen Linien stehen für die einzelnen Frequenzen, die vier verschiedenen Farben stehen für je einen Lautsprecher.
Beton Teil 11 (steigt bei ca. 4.00 in der Skizze ein, geht dann in letzten Teil 12 des „Crackens“ über).
Umsetzung der Klanginstallation im Offenen Kulturhaus Linz.
Der konkrete Baustellenort hat sich längst verändert, die herausgeschnittene Öffnung ist ein Durchgang zu einem Shop geworden. Die interessantesten Phasen von Baustellen sind für mich immer wieder die, in denen das Raumgefüge noch nicht abgeschlossen ist oder zumindest der Rohbau noch ohne eingebaute Fenster, Türen und Inneneinrichtung steht, wo die bauliche Materie noch spür- und hörbar ist. Sie dienen mir immer wieder als flüchtige Zukunftsmodelle für formale Ideen.
2. Field Recordings als Ausgangsmaterial für instrumentale Umsetzungen
2a. Regen transkribieren
In anderer Weise, aber demselben Prozess von Konkretion zu Abstraktion auf der Spur, verhält es sich bei meiner Komposition „Jalousie“ für Saxophonquartett (2009). Zu unterschiedlichen Tages- und Nachtzeiten machte ich über mehrere Tage hinweg bei geöffnetem Fenster und geschlossenen Jalousien kurze akustische Aufnahmen.
Eine Auswahl davon wurde spektral wie zeitlich analysiert und als kompositorischer Prozess auf die Instrumente Alt-,Tenor-, Bariton- und Bass-Saxophon übertragen. Bei einer Aufführung können aus insgesamt 17, in traditioneller Notenschrift notierten Fragmenten sowohl die Abfolge als auch die Wiederholungen frei gewählt werden. Kaleidoskopartig verbinden sich diese Momente rund um einen einheitlichen Ort.
Im folgenden Klangbeispiel hört man zuerst die konkrete Aufnahme von Regen, die in die instrumentale Übersetzung mündet.
"Jalousie" Fragment, Danubia Saxophonquartett
Auch in diesem Fall der Übertragung von Regengeräuschen auf Instrumente habe ich abstrakte formale Verfahren angewendet. Jedes Instrument hat zwischen 5 und 7 Tonhöhen, die sich jeweils in einer bestimmten Reihenfolge verschieben. Zeitlich laufen mit Pausen durchlöcherte Triolen, Quintolen oder Sextolen gleichzeitig, perkussive Slaps werden als leichte Akzente ad libitum eingesetzt. Es ergibt sich dadurch eine amorphe und doch feingliedrige Zeit, ein unregelmäßiges Netz, welches aber genau geordnet und bestimmt ist.
Die Ordnung von Regenmustern zu bestimmen, scheint mir eine hochinteressante Aufgabe für die Zukunft. Wahrscheinlich lassen sich in absehbarer Zeit chaotisch bzw. unregelmäßig anmutende Strukturen mit entsprechenden Analysen als geordnet erkennen.
2b. Gradationen: akustische, grafische, traditionelle Partitur
In meiner Serie "Schütten"(2018) geht es nochmals um die Umsetzung von konkreten Aufnahmen aus einem Zementwerk in eine abstrakte instrumentale Sprache, diesmal stehen aber drei Gradationen zur Verfügung. In der ersten Gradation dient die Feldaufnahme als akustische Partitur, in der zweiten wurde die konkrete Aufnahme von mir in eine grafische Partitur übertragen, in der dritten versuchte ich eine Transkription in traditioneller Notation. Auf die Frage, wie wird ein quietschendes und ratterndes Förderband zu einem Solo-Violinstück, gibt es jeweils drei Antworten.
Im folgenden Klangbeispiel hört man drei Feldaufnahmen, die als Basis für die Violinstücke dienten.
Schütten konkret Vl
Ein Ausschnitt aus der Umsetzung von Barbara Lüneburg in der ersten Gradation.
Eine grafische Partitur zur ersten Feldaufnahme:
Umsetzung dieser grafischen Partitur von Tiziana Bertoncini (Ausschnitt).
Die dritte Gradation, in traditionelle Notenschrift übertragene Aspekte oder Merkmale aus diesen Feldaufnahmen, trägt natürlich meine kompositorische Handschrift.
Ausschnitt aus dieser notierten Version, gespielt von Annelie Gahl.
Die Abstraktion erfolgt in allen Gradationen durch die von vornherein bestehende Unmöglichkeit und Überforderung, das Klangmaterial am Instrument naturgetreu wiedergeben zu können. „Übersetzungsfehler“ sind unumgänglich, bzw. verstehe ich die Feldaufnahmen und Grafiken als Katalysatoren für ein eigenes In-Gang-Setzen von klanglichen Ideen der Ausführenden, die selbst über einen reichen individuellen Tonvorrat verfügen, den ich gar nie notieren könnte. Die Bereiche Komposition, Improvisation und Interpretation verschränken sich; meines Erachtens ist das die ideale Fusion eines musikalischen Tuns, und ich wünsche es mir für die allgemeine zukünftige Musikpraxis.
3. Akustische Bodenuntersuchung
Im Rahmen des Projekts „Offene Felder“ des Instituts für Kunst im öffentlichen Raum Steiermark habe ich 2022/23 eine Arbeit realisiert, die sich mit einem ausgesuchten Bauernhof aus der Region Salzkammergut auseinandersetzt. Meine Frage lautete: Was macht den Klang, die gesamte Klang- und Geräuschvielfalt, das „Rauschen“ einer Hofgemeinschaft, eines Oikos aus? So wie es Profilschnitte durch einen Bodenkörper gibt, der die verschiedenen Bodenhorizonte zeigt, wird in dieser Arbeit ein ausgesuchter Bauernhof in Altaussee akustisch untersucht, in dessen klangliche Schichten eingedrungen und Raum für noch unbekannte Schichten geöffnet.
In dieser Arbeit mit dem Titel "Ökophonie" entstand schließlich ein akustischer Klangwanderweg mit insgesamt 14 Stationen zu Themen dieses Hofs und der ihn umgebenden Landschaft. Zum Beispiel geht es um das Wahrzeichen von Altaussee, den Berg Loser, das Verhalten und Klingen von Bienen oder um die Geschichte der Namensgebung des Hofs. Das Publikum wird aber nicht nur eingeladen, den kurzen Kompositionen zu lauschen, es kann sich mit Audiobeiträgen an der Arbeit auch selbst beteiligen. Es gibt die Möglichkeit, Klänge, Töne, Geräusche oder sprachliche Mitteilungen hochzuladen. Der Klangwanderweg ist noch bis Oktober 2024 zu begehen.
In dieser Arbeit gibt es trotz der klar abgeschlossenen Formteile einen „offenen Rand“, einen unbestimmten Raum, der sich an das Publikum richtet und zur Kommunikation einlädt.
„Jede Stimme zählt“ ist der Untertitel der Arbeit und einem Interview der Bäuerin entnommen. Eine Aufforderung, die ich an das Jetzt und unsere Zukunft richte.
Link zum gesamten Projekt: https://www.museum-joanneum.at/kioer/unser-programm/kalender/event/katharina-klement
Endstatement:
Das Hin- und Herwandern zwischen konkreten und abstrakten Orten und Raumvorstellungen ist eine äußerst fruchtbare kompositorische Praxis, die mich auch in Zukunft beschäftigen wird. Ausgewählte konkrete Orte zu beobachten, Eigenheiten daraus abzuleiten bzw. abstrakte Strukturen daraus zu gewinnen, ist eine Technik, die ich sehr empfehlen kann. Konkrete Orte verändern sich immer, unterliegen bei genauerer Betrachtung oft einer starken Dynamik, meist überlagern und durchkreuzen sich in ihnen mehrere Zeiten.
Manchmal genügt es, solche Orte mit geschärften Sinnen wahrzunehmen und daraus Inspirationen für kompositorisches Vorgehen ins Abstrakte abzuleiten. Manchmal braucht es Mikrofone und ein Aufnahmegerät, um Material für weitere Umwandlungen zu gewinnen.
In Zukunft sind den Analyse-Techniken und Algorithmen zur Übertragung von Daten keine Grenzen gesetzt. Mir ist es aber wichtig, diese Übertragungen nicht 1:1 wie in einer „Sonifikation“ zu sehen, wo es rein um eine klangliche Darstellung geht, sondern immer im Spielraum der künstlerisch freien Übersetzung und Transformation.
Katharina Klement
Katharina Klement ist als „composer-performer“ im Bereich von komponierter und improvisierter, elektronischer und instrumentaler Musik tätig. In ihrem Werk finden sich zahlreiche querverbindende Projekte innerhalb der Bereiche Musik-Text-Video. Besonderes Interesse gilt dem Instrument Klavier und dafür erweiterten Spieltechniken. Internationale Konzerte und Aufführungen, zahlreiche Veröffentlichungen, Preise und Auszeichnungen. Sie unterrichtet am Lehrgang für elektroakustische und experimentelle Musik an der Universität für Musik und darstellende Kunst Wien, lebt in Wien.
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