Klanginstallationen in der zeitgenössischen Komposition

Über die Symbiose von rotierenden Klanginstallationen und InterpretInnen und die daraus hervorgehenden Erweiterungen in Klang und Raum. 2 Beispiele.

Andreas Trobollowitsch Andreas Trobollowitsch
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Einleitung

Bei den Arbeiten von Andreas Trobollowitsch geht es immer irgendwie um Bewegung. Entweder werden alle erdenklichen Objekte in Rotation versetzt - von an Walkmen befestigten Stiften über Cellobogen Haare an Ventilatoren bis hin zu 2 Meter großen Plattformen samt Musikern oben drauf. Oder es wippt ein ganzer  Schwarm Melodicas an 6 Meter langen Blasrohren in luftiger Höhe unregelmäßig im Takt, während diese, von prallen Luftballons bespielt, einen mikrotonalen Chor ergeben. Manchmal pflügt auch ein hinter einem Traktor hergezogenes Klavier durch die Felder Niederösterreichs.

Man merkt schon, dass auch dem Publikum einiges an Beweglichkeit abverlangt wird – nicht zuletzt und besonders, was die eigenen Vorstellungen über sich, die Dinge und eigentlich die ganze Welt anbelangt. Denn die Neugierde des Künstlers blickt am liebsten hinter die Fassade des Alltäglichen; sieht im Bekannten immer auch dessen unvermutete Seiten und öffnet so einen Zugang zu einer verborgenen Welt ungeahnter Möglichkeiten und ungenutzter Potenziale. (Hans-Jürgen Hauptmann)

TRUBA - HUMANTURNTABLE 

Die Rillen einer Schallplatte sind Spuren ehemaliger Klangereignisse, gewissermaßen eingefrorene, in der Zeit gefangene Schwingungen. Eine Schallplatte ist somit eigentlich (auch) eine Klangskulptur, deren mehrdimensionale Morphologie in einer zweidimensionalen Scheibe schlummert. Wird sie in Rotation versetzt, kann eine sensible Nadel das in den spiralförmigen Schallschluchten festgehaltene Spektrogramm wieder freisetzen – wie ein umgedrehter Seismograph, der die Zeit spiegelt und die Aufzeichnungen wieder in Erschütterungen rückübersetzt. Die daraus resultierenden Luftdruckschwankungen erzeugen Raumzeit-Turbulenzen, atmosphärische Mikrodetonationen, von denen manche stark genug sind, um Löcher ins Gewebe unseres Alltags zu sprengen und kurzzeitige, fragile Freiräume zu öffnen: Spielräume für alternative Gegenwarten, Proberäume für Gegenwelten, Portale in andere Dimensionen. Der tönenden Alchemie von Rotationsobjekten ist auch ein großer Bereich der Trobollowitsch’en Neugierde gewidmet. Ein solches Objekt stand etwa 2020 im Kleinen Wasserspeicher in Berlin.

Es handelte sich um eine Klanginstallation basierend auf einer Drehscheibe mit 2 Metern Durchmesser. Die Musik, die darauf zu hören war, stammte von 2 Trompetenspielern, die nach außen gewandt auf diesem überdimensionalen Turntable saßen und sich mit geschmeidigen 8 rpm im Kreis drehten. Dabei rotierten sie in regelmäßigen Abständen an 6 Löchern von jeweils 16 cm Durchmesser vorbei, welche wiederum die Öffnungen von 4-6 Meter langen Röhren waren, die radial um das Klanggyroskop in einer charmanten Konstruktion mit viel Gespür für stoffliche Eigensinnigkeiten arrangiert wurden und dafür sorgten, dass die nach einer speziellen Partitur organisierten Schallimpulse der Instrumente, angereichert mit der Resonanzenergie der verbauten Materialien, in eine großräumige Klangtopographie übersetzt wurde, welche in vagierenden, sich überlappenden und gegenseitig durchdringenden sonischen Wolken dem herumwandernden Publikum verschwommen pulsierend und sich permanent wandelnd begegnete.

Eine überarbeitete Aufnahme davon wurde auf einer Schallplatte festgehalten. Ein Resultat freilich, das erstmal wieder in jene anfangs beschriebene Zweidimensionalität gepresst werden musste, deren schlichte Form jedoch – wie wir nun wissen – das Substrat einer vielschichtigen Konjunktivmaschine ist: eine vinylbasierte Konsistenzebene, die Raum und Zeit so spielerisch faltet, verformt und verdichtet, dass man den Eindruck gewinnt, man höre Echos aus fernen Welten und Zeiten – „everything everywhere all at once“. (Hans-Jürgen Hauptmann)

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HUMANTURNTABLE - TRUBA

hybrid #1 - ⥀18

hybrid #1 - ⥀18 basiert auf der Klanginstallation hybrid #1, bestehend aus drei speziell konstruierten mechanischen Turntables, sechs Flöten und sechs Ballonen. Während die Plattenspieler unterschiedlich schnell rotieren, werden die an ihnen befestigten Flöten durch die ausströmende Luft der Ballone zum Klingen gebracht. Dabei moduliert die Installation in mehrerlei Hinsicht: einerseits graduell im mikrotonalen Bereich aufgrund des stetig minimal abnehmenden Luftdrucks, anderseits sprunghaft, nämlich dann, wenn der Spielmodus von „überblasen“ in den „herkömmlichen“ Spielmodus wechselt. Außerdem moduliert das Gesamtklangbild – ausgehend von den in unterschiedlichen schnell rotierenden Turntables – sukzessiv, wodurch sich Frequenzen immerfort neu im Raum ausbreiten und reiben.

Die für den Mozartsaal konzipierte Version hybrid #1 -⥀18 wurde sowohl um einen räumlichen als auch kompositorischen Aspekt erweitert. Einerseits kommen anstelle von sechs achtzehn Flöten zum Einsatz, andererseits interpretiert das Ensemble PHACE eine auf dem rotierenden Flötenklang basierende Partitur. Das Quellmaterial hierfür sind im Vorfeld erprobte/erforschte Frequenzen und Frequenzfolgen, welche zumeist auf erweiternden Spieltechniken basieren – im Zusammenklang schimmern diese Sounds dann leise durch, wie ein Schatten, der die Installation in einem permanent sich verändernden Licht erscheinen lässt.

Ziel der Komposition ist es, ein einziges großes Instrument zu erschaffen, das wie einziger Organismus agiert, der sich nach und nach verändert, einmal lauter, einmal leiser in Erscheinung tritt und sich, ausgehend von mikrotonalen sich transformierenden Klangflächen, auf das Wechselspiel von Mensch(Interpret*in) und Maschine(Installation) konzentriert.

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"hybrid #1 – ⥀18" (feat. ensemble PHACE)

Andreas Trobollowitsch

Andreas Trobollowitsch ist ein österreichischer Komponist und Klangkünstler. Seine aktuellen Arbeitsschwerpunkte sind konzeptuelle und ortsspezifische Kompositionen, Performances, Klangobjekte und Zeicheninstallationen. Die zum Einsatz kommenden Materialien sind zumeist präparierte selbst entwickelte Musikinstrumente, modifizierte Alltagsgegenstände und Pflanzen die von Rotationssystemen, PerformerInnen oder sich verändernden Aggregatzuständen (zum Beispiel schmelzendes Eis) aktiviert und/oder manipuliert werden. Interessiert an der Dichotomie des Intellektuellen und des Physischen bezieht er dabei visuelle Aspekte, Räumlichkeiten sowie Bewegung mit ein und bedient sich dabei einer spielerischen Praxis, die das Experiment und die Klangfarbe in den Mittelpunkt stellt. Er erhielt unter anderem das Staatsstipendium für Komposition und war SHAPE-Artist (Innovative Music and Audiovisual Art for Europe) 2017. Kompostionsaufträge u. a. von Ensemble PHACE Wien, Filmarchiv Austria, Musikprotokoll Graz, Todays Art Den Haag, Contemporary Music Ensemble Synaesthesis Vilnius, The Rhythm Method New York.

Originalsprache: Deutsch
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