Die Zweite Schrift: Über Metakomposition und Übermalung in den Monadologien.

In diesem Artikel untersuche ich das Prinzip der Überschreibung und Metakomposition in meiner Werkgruppe der 41 Monadologien unter besonderer Berücksichtigung der Überschreibung von Schuberts Winterreise im Zyklus Cold Trip (Teil 1 und 2).

Bernhard Lang Bernhard Lang
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Wenn nichts mehr geht: Wiederholung wiederholen.

Der Begriff der Wiederholung steht bei allem theoretischen Gewicht auch für Obsessives und Humoristisches. Wird das Paradigma der Wiederholung seit Jahrzehnten von Seiten der Avantgardekunst wie auch der Musik befragt, um traditionell herrschende Gegensätze von Original und Kopie, Echtheit und Fake zu problematisieren, hat es sich in anderen Bereichen der (Pop-)Kultur zu einer gebrochen-hedonistischen Geste entwickelt, die die Schönheit des Seriellen und Repetitiven kultiviert. So unterschiedlich die hier besprochenen und gezeigten Arbeiten aus den Bereichen Kunst, Popkultur, Film, Musik, Alltag, Theorie und Praxis sind, gemeinsam ist ihnen, dass sie die klassischen Kategorien von Identität und Subjektivität in je spezifischer Weise fokussieren und unterminieren.1

Ich werde mich in diesem Artikel auf Cold Trip und die damit verbundenen kompositorischen Strategien und Konzepte konzentrieren. Inzwischen arbeite ich an weiteren Serien, die sich zum Teil sehr stark von den Monadologien unterscheiden, auf die ich hier aber nicht eingehen werde.

  • 2015, Monadologie XXXI 'For Franz III' für Zither und Streichquintett [25'], nach Schuberts C-Dur-Quintett
  • 2012, Monadologie XXI '...for Franz II' für Flöte, Violoncello und Vierteltonakkordeon [15'] (nach Schubert op. 99)
  • 2012, Monadologie XX '...for Franz I' für Klaviertrio [20'] (nach op.100)

Wenn ich heute auf die Monadologie-Serie zurückblicke, stellt der Cold Trip einen Wendepunkt dar: Die früheren Monadologien bearbeiteten eigene und historische Partituren mit Computerprogrammen; ich hatte zu diesem Zeitpunkt bereits zwei Partituren von Schubert auf diese Weise bearbeitet (Trio Es-Dur, Trio Bb-Dur). 

Video URL
Bernhard Lang - The Cold Trip

Im Laufe der Arbeit hatte ich diese Prozesse, die ich unzählige Male wiederholen musste, bereits soweit verinnerlicht, dass der Einsatz des Computers redundant wurde und ich die Bearbeitung quasi freihändig durchführen konnte: Dies war bereits bei der Bearbeitung von Cold Trip der Fall; ebenso bei der Komposition von for Franz III.

Ursprünglich hatte ich angenommen, dass der Einsatz des Computers die Kompositionszeit verkürzen würde: de facto brauchte ich aber viel mehr Zeit, um die Ergebnisse der Bearbeitung zu bewerten, zu verwerfen, zu wiederholen, zu schneiden, auszuwählen etc. Bei der Arbeit mit dem Algorithmus ist es sehr wichtig, sich nicht zu einem absoluten Glauben an das Ergebnis verleiten zu lassen.

Der psychologische Eindruck von Stimmigkeit und Richtigkeit, den die Präzision der Maschine vermittelt, muss keineswegs mit ästhetischer Stimmigkeit übereinstimmen. Hier sind historische und ästhetische Filterungen a posteriori notwendig, um das zu erreichen, was Schönberg etwas mystisch „musikalische Logik“ nennt: etwas, von dem wir alles wissen, das wir alle kennen, von dem wir aber nicht wissen, was es genau ist.

Ein gutes Beispiel dafür ist die Dramaturgie der Zeiten und Dauern. Es gibt ein sehr genaues Gefühl für Überlänge. Man empfindet oft ein Ende in einem Stück, das nicht das tatsächliche Ende ist. Warum das so ist, weiß man nicht wirklich, und doch ist es notwendig, sich dem Ergebnis einer algorithmischen Komposition mit eben diesen Kriterien zu nähern.

In Cold Trip lassen sich dennoch einige Elemente algorithmischer Verfahren erkennen:

  1. das monadologische Prinzip: d.h. das Herausschneiden singulärer Zellen aus dem Originaltext: die Auswahl ist intuitiv, wie beim Sampling einer Hook-Line; das Herausschneiden ist ein virtueller Sampling-Vorgang, wobei anstelle des Audio/Video-Materials eine Partitur oder eine MIDI-Datei verwendet wird.
  2. Die Wiederholung des Samples: Loop-Bildung in allen Formen. Die Wiederholung ersetzt hier die sich entwickelnde Erzählung als Mittel der Prolongation.
  3. Kontinuierliche Sampling-Frequenzen: Pulse und Beats: Rasteroperationen.

Um das Konzept von Cold Trip näher zu beleuchten, möchte ich zunächst auf die Idee der Überschreibung eingehen, die allen Monadologien vorausgeht.
Als paradigmatische Beispiele möchte ich zunächst die dem Cold Trip vorangehende Monadologie XIII the saucy maid (nach Bruckners I. Linzer Fassung) und die dem Cold Trip folgende vollständige Überschreibung des Parsifal näher betrachten.

  • 011-2012, Monadologie XIII 'The Saucy Maid' für 2 Orchestergruppen im Vierteltonabstand (nach Anton Bruckners 'Linzer Sinfonie - Das Kecke Beserl' ) [ 60'] Kompositionsauftrag der Donaueschinger Musiktage 2013
  • 2015-2016, ParZeFool Musiktheater für Stimmen, Chor, Ensemble und 2 Jazz MusikerInnen [200'] nach Richard Wagners Parsifal. Wiener Festwochen/Theater an der Wien 2017

ParZeFool (Der thumbe Thor)

Video URL
Klangforum Wien: The Obsession with Parzifal

Kurzer Hinweis auf die Beziehung zwischen Wagners Originalpartitur und der daraus entstandenen Komposition in Bernhard Langs ParZeFool.

Das gesamte Stück folgt:

  1. Wagners Zeitstruktur, die von der Gesamtstruktur Vorspiel/3 Akte/2 Pausen bis zur Länge der einzelnen „Szenen“ reicht, was eine Gesamtlänge von ca. 200 Minuten ergibt. 
  2. Wagners Text: Dieser wird transformiert durch:
    - Übersetzungen ins Französische (Blumenmädchen), Englische (Amfortas), Hebräische (Chor)
    - Kürzungen von „Schlüsseltexten“, Auslassungen von längeren Erzählungen (Gurnemanz)
    - Wiederholung von Hooklines "Erlösung dem Erlöser" 
  3. Wagners Erzählung mit subtilen Änderungen und Umformungen von Beziehungen und Personen (Kundry gewinnt) 
  4. Wagners Figuren, mit dem Weglassen von Titurel und der Reduktion auf 4 Blumenmädchen; ein Knappe wird von einem Sopran gesungen, Parsifal von einem Countertenor. Das ganze Stück folgt meiner Technik von Differenz/Wiederholung, die ich in Theater of Repetitions, I hate Mozart, Montezuma, Der Reigen, Der Golem angewandt habe. 

Am 8. Juni 2017 fand im Theater an der Wien die Premiere von MondPARSIFAL/ParZeFool statt: Dabei handelt es sich um eine komplette Neufassung von Wagners Parsifal, die dem Originaltext und der ursprünglichen Zeitstruktur folgt:

  1. Es ist das erste Mal, dass eine komplette Oper auf diese Weise umgeschrieben wird. 
  2. Der Begriff „Umschreibung“ scheint nicht alle Bedeutungen des deutschen Begriffs „Überschreibung“ abzudecken, der auch den Begriff des Palimpsests einschließt.2 
  3. Als wir unsere Zusammenarbeit mit Jonathan Meese begannen, haben wir beschlossen:
    - den ursprünglichen Zeitrahmen (einschließlich der absoluten Länge von 200 Minuten) beizubehalten
    - das ursprüngliche Libretto beizubehalten
    - die ursprünglichen Schauspieler beizubehalten (umbenannt in: ParZeFool, Cundry, Amphortas, Clingsore) 
  4. Beibehaltung der Handlung

I. Überschreibung

In Meeses Werk spielt der Begriff der Überschreibung eine entscheidende Rolle, ebenso wie der Begriff der Einschreibung und der Marginalie.

Während unserer Zusammenarbeit gab es mehrere Phasen des Überschreibens:

  1. Meese versucht in Bayreuth Parsifal zu überschreiben, wird rausgeworfen. 
  2. Ich überschreibe Wagners Partitur:
    - das Libretto, füge Marginalien, Kommentare, Bedeutungsverschiebungen hinzu („Erlösung von Erlösern“)
    - die Partitur, beginnend mit dem Klavierauszug (siehe Scans) 
  3. Meese überschreibt Lang, ergänzt Langs Untertitel

Das erinnert auch an Arnulf Rainer und seine Übermalungen:

Screenshot, Pictures Web Research, Arnulf Rainer

Screenshot, Pictures Web Research, Arnulf Rainer

Überschreiben ist auch ein Aspekt der Appropriation Art.

Dieses Konzept geht von der Vorstellung aus, dass Text immer wie eine Zwiebel aufgebaut ist: Es gibt erste Schichten, zweite Schichten und so weiter; dies bezieht sich auf die Idee der Interpretation selbst, wobei die Urschrift als Ausgangspunkt genommen wird, wie in der jüdischen Textauslegung.

Darüber hinaus wird die Absolutheit der ersten Schrift durch den Beginn eines Diskurses zwischen den Schichten der Schriften ersetzt, so dass die Urschrift dekonstruiert, überlagert und mit neuen Bedeutungen aufgeladen wird.

Dieser Diskurs bringt nicht nur neue Bedeutungen des Originaltextes hervor, sondern stellt auch:

  1. der Begriff des Ursprünglichen 
  2. den Begriff des Autors selbst und darüber hinaus den des Subjekts 
  3. den Begriff des Neuen im Kontext der Schöpfung (besonders interessant im Kontext der „Neuen Musik“).

Ich unterscheide zwischen:

  1. der „Ersten Schrift“ („First Writing“)
  2. der „Zweiten Schrift“ („Second Writing“).

Das bedeutet, dass die erste Schrift als absolut angesehen wird, was der vorkritischen Sichtweise auf den Text oder die Komposition entspricht; sie korreliert mit dem genialen Schriftsteller der Romantik; die zweite Schrift entspricht der kritischen Sichtweise/Lesart, wobei die erste nur als Ausgangspunkt für den Diskurs dient, der zum Akt der Überschreibung führt.

Überschreibung ist eine Technik der Metakomposition

Anstatt eine neue Textur aus dem Nichts zu erschaffen, beginnt die Metakomposition mit einem bestehenden Werk; in gewisser Weise könnte man sie mit den Konzepten der Nicht-Philosophie (Laruelle) vergleichen; man könnte sie auch als Nicht-Komposition bezeichnen.

Inspiriert wurde ich von der österreichischen Schule des Meta-Films (Deutsch, Kubelka, Brehm, Arnold, Pfaffenbichler) und dem amerikanischen Künstler Raffael Montañez Ortiz.

Der Bezug zum Film führt uns direkt zum Musiktheater, und wie Alexander Kluge betonte, war Bayreuth der Vorläufer der IMAX-Kinos.

Als ich das Theatre des Répétitions komponierte, wurde mir klar, dass die Übertragung der Techniken des Meta-Films am besten mit menschlichen Schauspielern und einer theatralischen Inszenierung funktioniert. Das war der erste Versuch, Martin Arnold musikalisch zu übertragen.

Zu diesem Zeitpunkt wagte ich es noch nicht, Teile oder gar das gesamte Werk zu verwenden, obwohl dies die logische Konsequenz war, die ich erst 2016 ziehen konnte.

II. Wiederholung der Wiederholungen / Die Schleife

Was ich hier geschaffen habe, ist eine Art virtueller Remix der Partitur, bei dem Remixtechniken (Looping, Cutting, Layering) auf Partituren im MIDI-Format angewendet werden.

Die Wiederholung des originalen Wagners findet im Wesentlichen auf zwei Ebenen statt:

  1. Wiederholung des historischen Repertoires/Archivs
  2. Verwendung differenzierter Wiederholungen als kompositorisches Mittel innerhalb des Werkes.

Die Rolle des Loops wird entscheidend:

ParZeFool ist eine LoOpera, ein auf Wiederholung basierendes Musiktheater, das auf dem Theater der Wiederholung basiert.

„Das Theater der Wiederholung steht im Gegensatz zum Theater der Darstellung, so wie die Bewegung im Gegensatz zum Konzept und zur Darstellung steht, die sie auf das Konzept zurückführt. Im Theater der Wiederholung erleben wir reine Kräfte, dynamische Linien im Raum, die ohne auf den Geist einwirken und ihn direkt mit der Natur und der Geschichte verbinden, mit einer Sprache, die vor den Worten spricht, mit Gesten, die sich vor organisierten Körpern entwickeln, mit Masken vor Gesichtern, mit Gespenstern und Phantomen vor Charakteren – der gesamte Apparat der Wiederholung als „schreckliche Macht“. (DR, S.7, Einleitung)

Es ging mir um die Schaffung einer neuen Form von Musiktheater, die eine implizite Kritik an den mir bekannten Neuentwürfen darstellen sollte. Ich stellte das Theater der Wiederholungen als kritische Antithese dem Theater *der Repräsentation gegenüber. Oper ist in gewissem Sinne immer repräsentatives Theater, sowohl was die Definition von Identität in der dargestellten Geschichte, was die Definition von Identität der Ausführenden angeht, aber auch die politische Identität der sich im Musiktheater repräsentierenden Machthaber. Der Begriff Theater der Wiederholungen stammt von Deleuze, der ihn in der Einleitung zu Differenz und Wiederholung zitiert, das Theater der Wiederholungen als Fokus der „reinen Energien“.

Nam June Paik und Peter Roehr. Elvis Presley und Karlheinz Stockhausen. Die Beatles und Andy Warhol. Terry Riley und Ken Kesey. All diese Künstler haben gemeinsam, dass in ihren Werken Loops eine bedeutsame Rolle gespielt haben. Die kurzen, mit Hilfe von Aufzeichnungsmedien wiederholten Ton- oder Bildsequenzen haben sich in der Kunst und der Musik nach dem Zweiten Weltkrieg als erstaunlich flexible, vielseitige und folgenreiche ästhetische Methode erwiesen. Loops müssen heute zu den wichtigsten Gestaltungsmittel postmoderner Kunst und Musik gezählt werden. Doch bisher sind sie als ästhetisches Phänomen weitgehend übersehen worden. Dieses Buch erzählt nun zum ersten Mal eine Geheimgeschichte des 20. Jahrhundert: wie eine ehedem unauffällige Grundfunktion aller modernen Medientechnologie vollständige künstlerische Oeuvres, Musikstile wie Minimal Music, Hip Hop und Techno, und zuletzt ganze Szenen und Subkulturen hervorgebracht hat, die ohne Loops undenkbar gewesen wären. 3

Ich hatte mich in meinen Musiktheatern schon zuvor mehrfach auf Wagner bezogen:

retro
rauminstallation für wagner-loops und einen tänzer
im wohnzimmer sitzen – musik hören – aufstehen – zum fenster gehen – :
spuren alltäglicher wiederholungen, gezeichnet in die imaginäre zukünftigkeit eines habitats.
rückwärts gehen :
in die domestizierung
in die gewohnheit
in das verhüllende dasein, das dasein verhüllende
in die sicherheit des un–bewussten.
Bernhard Lang, 12.5.2004

Hängende Gärten ein interdisziplinäres Projekt der Cie.Willi Dorner und Gäste, 05.08.-07.08.04, 18:00 Uhr
BUWOG-Wohnanlage "Hängende Gärten", Dr.-Herta-Firnberg-Straße 7, 1100 Wien
ImPulsTanz04 http://www.impulstanz.com/

  • 2007, MOSAIK MÉCANIQUE, Musik/Installation zum Film von Norbert Paffenbichlers, www.pfaffenbichlerschreiber.org, (tristan and isolde/Stan and Oliver)
  • 2007 -2009, Montezuma Fallender Adler, Musiktheater nach Texten von Christian Loidl, Auftrag Linz 2009

Hier in der zweiten Szene wird Parsifal zitiert, als Montezuma dem Priester Damian die Droge überreicht. 

Der letzte Akt beginnt mit Tristan, III. Akt, Vorspiel. 

Außerdem wurde Mozart in I hate Mozart und The Stoned Guest überschrieben.

  • 2006, Odio Mozart / I hate Mozart, Musiktheater in zwei Akten, Libretto: Michael Sturminger, Wiener Mozartjahr 2006.
  • 2013, Monadologie XXIV 'The Stoned Guest', Kurzoper für 3 Stimmen, Flöte, Klarinette, Cello, Akkordeon, Percussion [15'] Auftrag IGNM

III. Looping Wagner / Überschreibung Parsifal - die Methode:

  1. Auswahl von Hooklines/Textschleifen: Reduktion des Wagner-Librettos auf wesentliche Motive/Wörter
  2. Erzeugung von Schleifen aus Hooklines (Klavierextraktion);
  3. Erzeugung von 12 Summen-/Differenztönen aus vierstimmiger Wagner-Harmonik:
  1. Einpassen der resultierenden harmonischen Schleifen in die ursprünglichen Zeitlinien von Wagner, die von CDs (schließlich von der Boulez-Aufnahme) stammen.

Die ursprüngliche Zeitachse, die bei der Komposition von ParZeFool verwendet wurde.

Jonathan Meese, Parsifal - 2016

Die Monadologien: Virtual Remix 

Hauptsächlich von Deleuze (Milles Plateaux, The Fold) inspiriert, entdeckte ich das Konzept der Monadologie4 als Beschreibungsmodell für meine Techniken5: Während ich zuvor Audio- und Videomaterial mit verschiedenen Loop-Generatoren verwendet hatte, verlagerte ich nun alle Bearbeitungen auf Partituren (als MIDI-Dateien); ich programmierte einen MIDI-basierten Sampler und Synthesizer für Partituren6, der die Loop-Maschine virtualisierte und eine Art abstrakte Lang-Maschine schuf. (Vgl. den Begriff der abstrakten Maschine bei Deleuze in 1000 Plateaux.7

Harmony of Difference

Siehe auch Werkliste Bernhad Lang.

Auszüge aus Time-Loop/Loop-Time, Berlin 2016

II.1 Definition

  1. Eine Schleife ist eine Struktur, bei der das Ende mit dem Anfang verbunden ist. (vgl. die frühen Tonbandschleifen)
  2. Looping the loop: Dann wird eine Art Bewegung eingeführt:

Durch Durchlaufen/Lesen/Abspielen dieser Struktur gelangt man zum Ende und springt zurück zum Anfang: Es entsteht eine andere Struktur, die wir als Wiederholung wahrnehmen.

Der Loop besteht aus folgenden Grundparametern (hier vereinfacht dargestellt):

  1. Loopstart in der Zeit
  2. Loopende in der Zeit
  3. Loopinhalt (Information)
  4. Lesegeschwindigkeit (z. B. Samplerate)
  5. Leserichtung
  6. Lesemodus a) linear b) chaotisch (Scratching)

Im Kontext digitaler Medien wird der Loop mit einem komplementären Begriff, dem Sample, einem zeitlich begrenzten Informationsausschnitt, gepaart; dieses Sample kann als ein Abschnitt des Computerspeichers bezeichnet werden, der gelesen wird. (hier ersetzt es den Loop-Inhalt).

Dies scheint eine unpassende Verwendung des Begriffs „Lesen“ zu sein, aber es ändert alles in der künstlerischen Herangehensweise an den Loop in den 1980er Jahren.

Der Doppelbegriff Loop-Samples oder Sample-Loop enthält eine doppelte Wiederholung, nämlich:

  1. die Wiederholung, die im Loop-Prozess enthalten ist
  2. das Sample als Wiederholung von etwas Gegebenem, bereits Existierendem.

In Programmiersprachen ist die Schleife eine Standardfunktion:


for(i=0;i<2016;i++){cout<<„this is a loop“;}

this is a loop this is a loop this is a loop this is a loop this is a loop this is a loop this is a loop this is a loop this is a loop this is a loop this is a loop this is a loop this is a loop this is a loop this is a loop this is a loop this is a loop this is a loop this is a loop this is a loop this is a loop this is a loop this is a loop this is a loop this is a loop this is a loop this is a loop this is a loop this is a loop this is a loop this is a loop this is a loop this is a loop this is a loop this is a loop this is a loop this is a loop this is a loop this is a loop this is a loop this is a loop this is a loop this is a loop this is a loop this is a loop this is a loop this is a loop this is a loop this is a loop this is Dies ist eine Schleife Dies ist eine Schleife Dies ist eine Schleife Dies ist eine Schleife Dies ist eine Schleife Dies ist eine Schleife Dies ist eine Schleife Dies ist eine Schleife Dies ist eine Schleife Dies ist eine Schleife Dies ist eine Schleife Dies ist eine Schleife Dies ist eine Schleife Dies ist eine Schleife Dies ist eine Schleife Dies ist eine Schleife Dies ist eine Schleife Dies ist eine Schleife Dies ist eine Schleife Dies ist eine Schleife Dies ist eine Schleife Dies ist eine Schleife Dies ist eine Schleife Dies ist eine Schleife Dies ist eine Schleife Dies ist eine Schleife

{cout<<„wenn sonst nichts mehr geht: wiederholung wiederholen“; day++: }

wenn sonst nichts mehr geht: wiederholung wiederholen wenn sonst nichts mehr geht: wiederholung wiederholen wenn sonst nichts mehr geht: wiederholung wiederholen wenn sonst nichts mehr geht: wiederholung wiederholen wenn sonst nichts mehr geht: wiederholung wiederholen wenn sonst nichts mehr geht: wiederholung wiederholen wenn sonst nichts mehr geht: wiederholung wiederholen wenn sonst nichts mehr geht: wiederholung wiederholen wenn sonst nichts mehr geht: Wiederholung wiederholen wenn sonst nichts mehr geht: Wiederholung wiederholen wenn sonst nichts mehr geht: Wiederholung wiederholen wenn sonst nichts mehr geht: Wiederholung wiederholen wenn sonst nichts mehr geht: Wiederholung wiederholen wenn sonst nichts mehr geht: Wiederholung wiederholen wenn sonst nichts mehr geht: Wiederholung wiederholen wenn sonst nichts mehr geht: Wiederholung wiederholen


II.2 Typologie:

A) Ein Unterschied nach Zeitspanne 

  1. Granularschleifen 50 ms bis 200 ms
  2. Kurzzeitschleifen 200 ms bis 7000 ms (lange Fuga soggetti)

B) Unterschied durch Modulation

Wir müssen zwischen modulierten und nicht modulierten Schleifen unterscheiden.

Nicht  modulierte Schleifen:

  1. Modulation des Schleifenanfangs (Wander-Schleife von Ortiz oder Arnold) Dies ist ein sehr spezifischer Loop, der in den 1980er Jahren für die Videokunst wichtig wird. Ich habe für diese Technik den Begriff „Granular Analysis“ geprägt.
  2. Modulation des Loop-Endes (oft in Kombination mit Start-Modulation
  3. Modulation des Loop-Inhalts (Filter, Iteration, Feedback)
  4. Modulation der Lesegeschwindigkeit (Scratchen)
  5. Modulation der Leserichtung (Scratchen)

Iterierte oder Feedback-Loops stellen eine eigene Art dar, die in dieser Kategorisierung nicht stark genug zum Ausdruck kommt. Sie stellen oft dynamische Systeme dar, die oft Iteration verwenden (Zelluläre Automaten, Fraktale usw.)

Ich unterscheide zwischen globalen Veränderungen/Modulationen und lokalen Modulationen:

  • Globale Modulationen führen zu einer Veränderung der Anzahl der Wiederholungen, z. B. öffnet sich ein Filter bei der ersten und bei der 10. Wiederholung
  • Lokale Modulationen führen zu einer Veränderung innerhalb jeder Wiederholung. Der Filter öffnet und schließt sich innerhalb jeder einzelnen Wiederholung.

Es gibt verschiedene Modi der Modulation von Parametern:

  1. Inkrement
  2. Dekrement
  3. Jitter: Es wird ein Epsilon-Bereich definiert, in dem sich der modulierte Schleifenpunkt unregelmäßig vor- und zurückbewegt, oft gesteuert durch Zufallsgeneratoren
  4. Oszillation: Der angegebene Schleifenpunkt bewegt sich rhythmisch innerhalb eines Epsilon-Bereichs hin und her.

C) Unterschied durch Glätte (smoothness)

  1. glatte Schleifen: Der Sprungpunkt wird verschleiert: (z. B. eine Schleife, die gleichmäßig mit Rauschen gefüllt ist oder der Sprungpunkt ist in der Information nicht erkennbar)
  2. der Schluckauf-Loop: der Sprungpunkt wird freigelegt: (z. B. die festgefahrene Platte von Pierre Schaeffer oder Phil Jeck)

D) Unterschied durch Bezugnahme auf die Probe

  1. Loop bezieht sich auf die Archive (Real oder Virtual Remix)
  2. Loop bezieht sich auf neu geschaffene Informationen (z. B. Improvisation, Komposition)

E) Unterschied nach Medium 1 Visuelle Schleifen

  1. Visual Loops
  2. Audio Loops
  3. Body Loops
  4. Text Loops
  5. Combinations of 1-4

F) Unterschied nach historischem Kontext

  1. Analog (Bänder zusammenfügen, Filmausschnitte ausschneiden und einfügen)
    Bei Filmausschnitten wird der Unterschied deutlich:                                                               während das analoge Looping als Abfolge von Clips (abgesehen von den seltenen tatsächlichen Filmschleifen) erstellt werden musste, wird die digitale Schleife durch wiederholtes Abrufen desselben Abschnitts im Computer-RAM erstellt)
  2. Digital (vgl. Harry Lehmann Die Digitale Revolution der Musik)
    hier wird die Schleife zu einem wesentlichen Modul innerhalb des digitalen Schnittprogramms

G) Unterschied durch Komplexität 

  1. Komplexität des Inhalts: In der Minimal Art ist der primäre Informationsgehalt von Loops eher minimal, wobei der Schwerpunkt auf den Veränderungen in der Wahrnehmung liegt. Die Loops in den 90er Jahren enthalten sehr komplexe Informationen, was der Grund dafür sein könnte, dass Feldman einerseits ein Loop-Komponist war, aber nie als Minimalist galt. Dasselbe gilt für die Loops von Phil Jeck.
  2. Komplexität der Wiederholung: Während sich minimalistische Loops in der Regel sehr linear, vorhersehbar (oder gar nicht) entwickeln, entwickeln sich komplexe Loops auf unberechenbare, chaotische Weise (z. B. Scratching).
  3. Komplexität der Inhaltsmodulation: Insbesondere Feedback-Loops wie Robert Fripps „Frippatronics“ können ausgehend von einfachen Anfangsbedingungen äußerst komplexe Systeme erzeugen, was Stephen Wolfram oft erwähnt.
Loop-Model

Die meisten Modelle dynamischer Systeme basieren auf interagierenden Schleifen.

Ein weiteres Beispiel sind rückgekoppelte Videostreams (Douglas Hofstaedter „I am a Loop“: Hier werden Rückkopplungsschleifen gewissermaßen als Modell des sich selbst reflektierenden Subjekts diskutiert).

H) Differenzierung durch Rhythmus

  1. Quantisierter Loop: Die Loop-Länge ist ein Vielfaches der klingenden Quantisierungseinheit des Samples: z. B. enthält das Sample Sechzehntelnoten und die Sample-Länge beträgt 7/16; daraus ergibt sich ein wahrnehmbarer Beat.
  2. Nicht-quantisierter Loop: Die Loop-Länge ist ein irrationales Vielfaches der Zeitsequenz innerhalb des Loops; (Vinyl-Loops) „Damaged Beats“. 

III. Schleifen und Zeit: die Phänomenologie der Schleifenzeit

Edmund Husserl definiert in seinem Aufsatz „Über den Ursprung des inneren Zeitbewusstseins“ eine prägnante Phänomenologie der Zeit; sie basiert auf der Vorstellung einer linear fortschreitenden Zeiterfahrung: Diese wird jedoch bereits durch die Begriffe der Prothension und Retention überschritten, die das Gedächtnis und ein Vorwärts- und Rückwärtsgehen in der Zeit beinhalten. Darüber hinaus verwendet er den Klang einer einzelnen Note als Paradigma für seine Diskussion der Phänomenologie der Zeit.

„Dauer der Empfindung und Empfindung der Dauer ist zweierlei. Und ebenso steht es mit der Sukzession. Sukzession von Empfindungen und Empfindung der Sukzession ist nicht dasselbe.“

Es scheint, dass der erwähnte Sprungpunkt in der zeitlichen Entwicklung von Schleifen einen deutlichen Einfluss auf unsere Wahrnehmung hat: Er wirkt der linear fortschreitenden Zeiterfahrung entgegen und ersetzt sie durch etwas anderes.

Die involvierten Wiederholungen vermitteln uns den Eindruck einer Zirkularität statt einer Linearität, obwohl die physische Zeit in der Zwischenzeit fortschreitet. Wir begegnen einem Phänomen, das wir trotz aller Bewegung eher als Stillstand denn als Fortschritt beschreiben würden. (Dies gilt nicht für Schleifen, die bereits eine statische Information enthalten).

Veränderte Zeiterfahrung entspricht verändertem Bewusstseinszustand: Schleifen können daher als Mittel zur Bewusstseinsveränderung betrachtet werden.

Wenn David Hume Substanz durch Wiederholung und Gewohnheit definiert, könnten wir daraus schließen, dass Schleifen eine Substanz schaffen, ähnlich wie das Filmbild durch wiederholte Einzelbilder entsteht. Es ist wie die Erzeugung einer Fata Morgana, die auf einer Schwingung basiert, aber als statisches Objekt erscheint.

blicken wir auf ein Stück Kreide

Edmund Husserl: Logische Untersuchungen

Außerdem scheinen die Schleifen des Typs 2, die „Kurzzeitschleifen“, der Zeitspanne des Kurzzeitgedächtnisses zu entsprechen, das auch neurologisch mit der Hypnosefunktion verbunden ist. Die hypnotische Wirkung vieler von Baumgärtel erwähnter Schleifen könnte daher rühren. William Burroughs erforschte diese Hypnosefunktion mit seiner und Brian Gysins Dream Machine, einem rotierenden Zylinder mit einer Schleife aus Mustern flackernder Lichter.

Dennoch sind, wie in der „rückwärts“ gerichteten Bewegung von Weberns Krebsmelodien, der Stillstand und das Zurückspulen der Zeit Illusionen, subjektive Erfahrungen mit vielen Konsequenzen für die Ästhetik, die sich aus ähnlichen Konstruktionen ergibt.

Betrachten wir systematisch die Zeitkomponente der verschiedenen Loop-Typen:

Granular Loops 50ms bis 200m

In einem granularen Loop verschwindet der Inhalt des Originals: ebenso die Zeitachse des Originals. Granulare Loops werden verwendet, um eine Zeitdehnung zu erzeugen, eine Vervielfachung der ursprünglichen Sample-Länge.

Granular Loops werden in der Granularsynthese verwendet, um musikalische Gesten in Klang zu verwandeln. (Klangwolken); diese Anwendung wurde hauptsächlich in der elektronischen Musik der 1980er Jahre verwendet.

Kurzzeit Loops 200ms bis 7000ms [„Hypno-Loops“]

Diese Loops werden hauptsächlich in der Granularen Analyse verwendet: Es handelt sich um eine Art Time-Stretch, aber mit einem anderen Blick auf den Inhalt: Es entsteht eine Art mikroskopische Analyse des Inhalts, der transformiert und neu interpretiert wird, wodurch Bedeutungsebenen aufgedeckt werden.

Die besten Beispiele, die die Wirkung dieser Loops auf unsere Wahrnehmung veranschaulichen, stammen von Raffael Montanez Ortiz.

“Our civilization sees the dream as irrational. I remember actually reading once about some scientist trying to invent a pill that would eliminate the toxin secreted by some gland in the brain that would then eliminate dreaming! We want to eliminate it, because we are a culture that is still suffering from nightmares, in contrast to the Senoi in Malaysia, where there is no nightmare, it's all been integrated by the time one gets through adolescence.

Then, your dreams serve your highest creative potential. The dream is for counsel, whether it's finding solutions for an illness, or ways to engineer a bridge that has to be built. So, the dream becomes the original art process, the art process that is inherent to our being, our imagining, our creativity. We daydream, we sleep dream. That imagining is the original art within which we make this bridge.” (Ortiz, Interview with Lauren Raine 1988.)

Digitale Verfahren der Bildverarbeitung verwendet Ortiz, um Prozesse der De- und Resemantisierung zu initiieren. Die Filmabläufe von "Kiss" und "Conversation" verweisen nicht nur auf sich selbst als mit elektronischen Mitteln konstruierte Zeichensysteme, sondern auch auf soziale Prozesse. Typisch für Ortiz´ Verfahren ist, daß er auf soziale Bewertungen verzichtet: Statt ein Verhältnis zur Gesellschaft auszudrücken, schafft er Anlässe für Reflexionen über Prozesse, die Sozialisation konstituieren. Die meist wertindifferente Behandlung des Filmmaterials des Video-Buddhisten Nam June Paik wandelt der Video-Schamane Ortiz in Modelle des "Liminoiden". (Thomas Dreher)

Strukturelle Loops 7000ms bis max

„Was auch immer über Schleifen gesagt werden kann: Auch das Gegenteil ist wahr:“ [Die Worte von Hassan-I-Sabbah, Berlin 2016]

Die Funktionen der Loops in ihren ästhetischen Konsequenzen.

Loops als Instrument einer Phänomenologie der Geste

Neuinterpretation des Gestischen, Dekonstruktion des Pathos

Theater der Wiederholungen; Martin Arnold

Loops als Vergrößerungsglas des Klanges

Husserls Tisch; das Drehen eines Gegenstandes

Morton Feldman

Loops als Strukturgenerator

Pattern und Zelle als neue musikalische Atomistik/Monadologie

Ligeti, zelluläre Automaten

Loops als Instrument der Dekonstruktion

Die differente Wiederholung/ als irritative Materialbeleuchtung

Maskenspiel

Loops als Generator von Substanzerfahrung

Humes Substanzbegriff: Konstitution des identischen durch Wiederholng

 

Loops als Instrument der Hypnose/des Selbstvergessens

Burroughs, The Dream Machine Rauscherfahrung

DW2, Trance Musik

Loops als Trägerin der Differenz

Differente Wiederholungen, Zuck/Scratchrhytmen, Damage Beats

Varianzen, die einen attraktiven Zustand umkreisen

Maskenspiel 1, Room full of Shoes

Chop the Past

Loops als Methode der Memorierens

Bergson; Wiederholung als Formgenerator

Versuch über das Vergessen

Loops als Ausdruck/Resultat eines Automatismus

Loops im Prozess des Automatic Writing, Automatisierung der Loops durch digitalisierte Loops; das Thema des Maschinellen

Osman Spare, Dadaismus

Loops als Abbildung von filmischen Strukturen (z.B. framerates)

Die Bildkonstitution aus der Loops von differentiellen Einzelbildern.

 

Loops als Improvisationskonzept

Loops als vorkompositorisches Experimentierverfahren

VLO

Loops als nichtlineares, nicht-erzählendes  Prinzip

Durchbrechen eines linearen Erzählflusses, William Burroughs Cut-Up Methode

 

 


 

 

  • 1

    Wenn sonst nichts klappt: Wiederholung wiederholen In Kunst, Popkultur, Film, Musik, Alltag, Theorie und Praxis. Mit Beiträgen u.a. von:
    Katja Diefenbach, Juliane Rebentisch, Josephine Pryde, Eran Schaerf, Diedrich Diederichsen, Gunter Reski, Tabea Metzel, Stephan Dillemuth, Stephan Geene, Judith Hopf. https://www.sfkb.at/books/wenn-sonst-nichts-klappt-wiederholung-wiederholen/

  • 2

    Ein Manuskript oder ein Stück Schreibmaterial, auf dem spätere Schrift über ausgelöschte frühere Schrift gelegt wurde. Ursprung Mitte des 17. Jahrhunderts: über das Lateinische aus dem Griechischen palimpsēstos, von palin „wieder“ + psēstos „glatt gerieben“.

  • 3

    Aus: Schleifen, Zur Geschichte und Ästhetik des Loops, Kulturverlag Kadmos

  • 4

    §. 66. Dahero ein jedweder organischer Körper eines lebendigen Wesens eine Art von denen Göttlichen Machinen oder natürlichen automatibus ist / welche alle künstliche Automata unendlich übersteiget; allermaßen eine durch menschliche Kunst verfertigte Machine in allen ihren Teilen mechanisch ist. Zum Exempel: die Zähne an einem eisernen Rade haben gewisse Teile oder Stücke / welche in Ansehung unserer nicht weiter etwas künstliches sind / und nichts mehr in sich fassen / welches in Absicht auf den Gebrauch / worzu das Rad bestimmt ist / etwas mechanisches anzeiget. Alleine die Machinen der Natur / das ist / die lebendigen Körper sind auch unendlich fort gewisse Machinen in ihren geringsten Teilgen. Wodurch der Unterscheid / welcher zwischen der Natur und der Kunst / das ist / zwischen denen Göttlichen und Menschlichen Kunst-Werken ist / bestimmt wird. 

    §. 89. Gleichwie wir oben unter denen natürlichen Reichen / deren eines sich auf die causas efficientes, das andere auf die causas finales stützet / eine Harmonie dargetan haben; so müssen wir allhier auch eine andere Harmonie unter dem Physikalischen Reiche der Natur und unter dem moralischen Reiche der Gnade anmerken / das ist / in so weit Gott als ein Erbauer der ganzen Welt-Machine betrachtet / und in so weit er als ein Monarche der Göttlichen Stadt der Geister angesehen wird.

    Daher ist jeder organische Körper eines Lebewesens eine Art göttliche Maschine oder natürlicher Automat, der alle künstlichen Automaten unendlich übertrifft. Denn eine Maschine, die durch die Geschicklichkeit des Menschen konstruiert wurde, ist nicht in jedem ihrer Teile eine Maschine; zum Beispiel haben die Zähne eines Messingrades Teile oder Stücke, die für uns keine künstlichen Produkte sind und nichts in sich enthalten, das den Verwendungszweck des Rades in der Maschine erkennen lässt. Die Maschinen der Natur, d. h. die lebenden Körper, sind jedoch bis ins kleinste Teilchen Maschinen. So groß ist der Unterschied zwischen Natur und Kunst, d. h. zwischen göttlicher und menschlicher Kunst.

    Da wir oben festgestellt haben, dass es eine vollkommene Harmonie zwischen den beiden natürlichen Bereichen der effizienten und der Endursachen gibt, wird es hier angebracht sein, auf eine weitere Harmonie hinzuweisen, die zwischen dem physischen Bereich der Natur und dem moralischen Bereich der Gnade zu bestehen scheint, d. h. zwischen Gott, der als Architekt des Mechanismus der Welt betrachtet wird, und Gott, der als Monarch der göttlichen Stadt der Geister betrachtet wird. 

    Aus: Gottfried Wilhelm Leibniz, Monadologie

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    Erstmals wurde ich auf diese Möglichkeit durch ein Gepräch mit Peter Vuijca hingewiesen.

  • 6

    Für harmonische Strukturen habe ich die Harmonie der Differenz entwickelt, die durch virtuelle FM-Synthesizer realisiert wird.

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    Dies ist die absolute, positive Deterritorialisierung der abstrakten Maschine. Deshalb müssen Diagramme von Indizes, die territoriale Zeichen sind, aber auch von Ikonen, die zur Reterritorialisierung gehören, und von Symbolen, die zur relativen oder negativen Deterritorialisierung gehören, unterschieden werden. 41 Auf diese Weise diagrammatisch definiert, ist eine abstrakte Maschine weder eine Infrastruktur, die in letzter Instanz bestimmend ist noch eine transzendentale Idee, die in letzter Instanz bestimmend ist. Vielmehr spielt sie eine steuernde Rolle. Die diagrammatische oder abstrakte Maschine dient nicht dazu, etwas Reales darzustellen, sondern konstruiert vielmehr ein noch zu kommendes Reales, eine neue Art von Realität. Wenn sie also Schöpfungspunkte oder Potenzialitäten konstituiert, steht sie nicht außerhalb der Geschichte, sondern ist stattdessen immer „vor“ der Geschichte. Alles entkommt, alles erschafft – niemals allein, sondern durch eine abstrakte Maschine, die Intensitätskontinuen erzeugt, Deterritorialisierungsverbindungen bewirkt und Ausdrücke und Inhalte extrahiert. Dieses Real-Abstrakte ist völlig anders als die fiktive Abstraktion einer angeblich reinen Ausdrucksmaschine. Es ist ein Absolutes, aber eines, das weder undifferenziert noch transzendent ist. Abstrakte Maschinen haben also Eigennamen (sowie Daten), die natürlich keine Personen oder Subjekte bezeichnen, sondern Materien und Funktionen. Der Name eines Musikers oder Wissenschaftlers wird auf die gleiche Weise verwendet wie der Name eines Malers, der eine Farbe, eine Nuance, einen Ton oder eine Intensität bezeichnet: Es geht immer um eine Verbindung von Materie und Funktion. Die doppelte Deterritorialisierung von Stimme und Instrument wird durch eine abstrakte Wagner-Maschine, eine abstrakte Webern-Maschine usw. gekennzeichnet. In der Physik und Mathematik können wir von einer abstrakten Riemannschen Maschine sprechen, und in der Algebra von einer abstrakten Galoisschen Maschine (genau definiert durch eine beliebige Linie, die Hilfslinie genannt wird, die mit einem als Ausgangspunkt genommenen Körper konjugiert wird) usw. Es gibt ein Diagramm, wenn eine einzelne abstrakte Maschine direkt in einer Materie funktioniert.

    G. Deleuze und F. Guattari

Bernhard Lang

Bernhard Lang, geboren 1957 in Linz, studierte am Brucknerkonservatorium und später an der Kunstuniversität Graz Komposition (bei Andrzej Dobrowolski), Klavier, Jazztheorie und Kontrapunkt. Zusätzliche Studien in Philosophie und Germanistik sowie Kompositionskurse bei Größen wie John Cage prägten sein Schaffen. Als Improvisationsmusiker und Jazzpianist tätig, wandte er sich ab 1985 der elektronischen Musik zu und entwickelte die Kompositionssoftware CADMUS. Er gründete 1987 die Vereinigung "die andere saite" und lehrte ab 2003 als außerordentlicher Professor für Komposition in Graz. Lang erhielt zahlreiche Auszeichnungen, darunter den Musikpreis der Stadt Wien (2008) und den Österreichischen Kunstpreis (2019). Sein Werk umfasst Musiktheater, Orchester- und Kammermusik, elektronische Kompositionen, Filmmusik und Musik für Tanz und Hörspiel.

Originalsprache: Deutsch
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