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Seit 2018 befassen wir uns auf künstlerisch-forschende Weise mit 3D-Audiotechniken und deren künstlerischen Potenzialen in den Künsten. Wir tragen eigene Bühnenperformances, Rechercheprozesse, wissenschaftliche Forschungsstände und Diskurse sowie künstlerische Vorzeigeprojekte zusammen und befragen die ästhetischen Arbeiten dahingehend, nach welchen Maßgaben sie raumakustische Phänomene und 3D-Audiotechnologien anwenden. Dabei begleitet uns die zentrale Frage, wie der akustische Raum als Parameter erzählerisch eingesetzt wird, d.h. über den Effekt der „Immersion“ hinaus eine eigene dramaturgische Komponente innerhalb einer künstlerischen Arbeit bildet.
Der Begriff der Dramaturgie spielt in unserer praxisorientierten und zugleich systematischen Suche nach den künstlerischen Potenzialen von 3D-Audioverfahren also eine zentrale Rolle. Das ambitionierte – und utopische? – Ziel unserer stetigen Recherchereise: nichts weniger als eine universelle Theorie des 3D-Audio, mit der wir im akademischen Diskurs mitwirken.
Was wir brauchen: eine 3D-Hörkultur
Als „universell“ begreifen wir die von uns anvisierte Theorie des 3D-Audio in zweierlei Hinsicht:
Erstens beschränken wir uns nicht auf eine Kunstform. Wir deklinieren alle Kunstformen mit auditiven Dimensionen durch – egal, ob das Akustische eine zentrale (z.B. Musik, Hörspiel) oder eine nachgeordnete (z.B. Tanztheater) Rolle spielt. Dieser interdisziplinäre Ansatz ergibt sich aus dem jeweiligen Background, den wir als Theater- und Filmemacher, Multimediakünstler, Musik- und Kunstwissenschaftler, Dramaturgen und Audioingenieure in das Projekt einbringen.
Zweitens bearbeiten wir Produktions-, Gestaltungs- und Rezeptionsfragen zu gleichen Teilen und voneinander abhängig. So ist das technische Wissen Voraussetzung für eine dramaturgisch konsequente Anwendung von Raumklangverfahren. Gleichzeitig ist es notwendig, stets die Rezipient*innenperspektive im Blick zu haben: Nicht nur, um für ein spezifisches Wiedergabemedium (z.B. Kopfhörer, Dolby Atmos, Soundbar) produzieren zu können, sondern auch um die Hörer*innen an die Hand zu nehmen – denn es existiert keine 3D-Hörkultur, an der sich Produzent*innen wie Konsument*innen orientieren können!
Das Grundprinzip: alles für zwei Ohren
In der konzeptionellen Entwicklung unserer Arbeiten gehen wir von folgender Bühnensituation aus: Inmitten des Bühnengeschehens befindet sich ein „lebendiges Mikrofon“, d.h. eine (zum Beispiel rot gekennzeichnete) Person, die ein binaurales Mikrofon (dpa 4560) in den Ohren trägt. Was damit mikrofoniert wird, wird in Echtzeit auf die (Funk-)Kopfhörer übertragen, mit denen das Publikum für die Aufführung ausgestattet wird.
Für die Münchner Philharmoniker haben wir 2022 ein 3D-Kopfhörerkonzert realisiert. Jüngst haben wir in Zusammenarbeit mit dem Ensemble Musikfabrik einen musikalischen Kopfhörerfilm veröffentlicht. Für beide Videos bitte unbedingt Kopfhörer tragen!
3D-Klanglandschaften: auf zwei Ohren hin-inszeniert
In unserer Arbeit fokussieren wir uns aus mehreren Gründen auf den Kopfhörer. Als Rezeptionsstandard für auditive Medieninhalte ist der Kopfhörer heute weit verbreitet, sodass das Erleben von 3D-Audioinhalten niederschwellig und massentauglich ist (im Gegensatz zur Exklusivität eines spezifischen Klangdoms). Entscheidender ist jedoch, dass wir die 3D-Klanglandschaft, welche die hörende Person umgibt, so präzise wie möglich gestalten wollen. Weil wir den dreidimensionalen, hörbaren Raum für unsere Erzählungen – seien sie konkret oder abstrakt – als den entscheidenden Parameter begreifen, weisen wir jedem Sound (Instrument, Körper, Bewegung, Sprache etc.) einen speziellen Ort zu, jeder Sound steht in einem sounddramaturgisch argumentierten Raumverhältnis zur hörenden Person. Diese Präzision lässt sich nur herstellen, wenn wir jederzeit den Sweet Spot des Publikums kennen. Unseren Hörer*innen lassen wir bislang also nicht die Freiheit, sich innerhalb von Lautsprechersystemen oder via Head-Tracking individuell zu den Sounds zu bewegen bzw. zu verhalten.
Kontinuierlich entwickeln wir unsere sounddramaturgischen Strategien des Erzählens im Raum weiter. Dabei entstehen laborartige Videos, in denen wir jeweils einen hörphänomenologischen Aspekt erklären. Diese „Shorts“ dienen uns bei unserer Arbeit an künstlerischen Projekten als Handwerkskasten, zugleich richten sie sich an ein neugieriges Publikum, das ein kritisches 3D-Audio-Hören erst noch „erlernen“ muss.
Die Idee vom 3D-Soundtheater
Wir wollen Theater für zwei Ohren machen! Wir wollen Stoffe, Inhalte und Geschichten über eine sounddramaturgisch präzis ausgearbeitete 3D-Klanglandschaft vermitteln. Bewegung, Sprache, Körper und Visuelles werden unter den 3D-akustischen Prämissen gestaltet. Das bringt eine Neuordnung der gewöhnlichen Theatermittel und somit neue erzählerische Möglichkeiten mit sich.
Die Idee eines immersiven 3D-Soundtheaters für Publikum mit Kopfhörern führt zu einem hybriden Theaterformat: Die analogen Mittel des Theaters, das auf körperliche Präsenz und Erfahrung sowie auf kollektives Erleben setzt, verbinden sich mit jüngsten Produktions- und Rezeptionsästhetiken digitaler, massenkompatibler und popkultureller Medien, die heute maßgeblich über Kopfhörer konsumiert werden – zumal von jungen Menschen.
Diese Idee des 3D-Soundtheaters für kopfhörendes Publikum eröffnet ganz neue erzählerische, dramaturgische und rezeptionsbezogene Spielräume:
Erstens handelt es sich um ein 3D-Soundtheater für unendlich mal eine hörende Person. Denn wenngleich sich das Publikum physisch in einem kollektiven Wahrnehmungsprozess befindet, wird das gesamte Bühnengeschehen stets auf zwei Ohren hin-inszeniert – also scheinbar individualisiert.
Zweitens wird über das Medium Kopfhörer die räumliche Distanz zwischen Bühne und Auditorium aufgehoben, weil das Publikum sich akustisch quasi auf der Bühne befindet und beispielsweise angeflüstert werden kann – wodurch sich über Sound eine neue Intimität, Immersion und Kommunikation schaffen lässt. Dabei gewinnen auch kleinste Körpergeräusche und artikulatorische Nuancen, die auf der großen Bühne unbemerkt bleiben, plötzlich an künstlerischer Relevanz.
Drittens muss mit aufführungspraktischen Konventionen der Bühnenaufstellung gebrochen werden, um für die „lebendigen Mikrofone“ gezielt eine 3D-Hörlandschaft zu entwerfen. Adressiert wird also nicht ein im abgedunkelten Auditorium sitzendes, anonymisiertes Publikum, sondern eine einzelne hörende Person, um die sich die Bühnenakteur*innen nach inszenatorischen und choreografischen Maßgaben herumbewegen.
Viertens wirkt solch ein 3D-Soundtheater für Kopfhörerpublikum sowohl im Theaterraum als auch im digitalen Raum. Nicht nur das Live-Erlebnis hebt sich vom konventionellen Theaterdispositiv ab, auch die Rezeption über digitale Kanäle (wie Mediatheken, Streams etc.) stellt sich als immersives Theatererlebnis dar – und dies zudem technisch hürdenlos, werden digitale Angebote über Laptops, Tablets und Smartphones heute doch ohnehin meistens in Kombination mit Kopfhörern konsumiert.
Unsere Vision von einem 3D-Soundtheater für kopfhörendes Publikum haben wir in den vergangenen Jahren konzipiert und in verschiedenen Versuchsanordnungen mit Darsteller*innen erprobt. In 2025 werden wir zwei großangelegte Musiktheaterproduktionen realisieren – und diese Erfahrungen werden dann wieder in unsere Theoriebildung einfließen...
Julian Kämper
SOUNDDRAMATURGIEN ist ein Langzeitprojekt von Felix Kruis (Multimediakünstler, Film- und Theatermacher, Kunstwissenschaftler), Julian Kämper (Musikwissenschaftler, Dramaturg, Autor) und Dominik Breinlinger (Audioingenieur, Klangregisseur). Als künstlerisches Kollektiv aus München entwerfen sie performative und mediale Konzepte für kopfhörendes Publikum, als Lecturer diskutieren sie an Hochschulen, Universitäten und auf Symposien über dramaturgisch-erzählerische Strategien in der Anwendung von 3D-Audio.
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