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Der "Automatenklavierspieler" aka "Autoklavierspieler" ist ein Spielmechanismus, auch Vorsetzer genannnt, der auf jeden herkömmlichen Klavier oder Flügel montiert werden kann.
Der Klavierspieler-Automat
Ein massiver Rahmen mit 88 elektromechanischen Fingern, die von Hubmagneten bewegt werden, ist auf einer Tastatur montiert. Gespeist von Transformatoren und gesteuert von Mikrocontrollern, die von einem Steuercomputer über serielle Schnittstellen angesteuert wurden, konnte der Automat über ein Netzwerk oder über MIDI in Echtzeit MIDI-Dateien oder anderweitig erzeugte Musik abspielen. Der Automat mit dem Namen "Kantor" wurde im Atelier Algorythmics1 gebaut.
Kantor-Prototyp, Erstbetrieb im CUBE am Institut für Elektronische Musik Graz, 2003.
Doch wie kam es zu der Idee, eine solche Maschine zu konstruieren und zu bauen, wo es doch schon seit Jahrhunderten mechanische Automaten zum Klavierspielen gab?
Faszination Musikmaschinen
Im Zusammenhang mit der Metapher des Materialismus im 18. Jahrhundert schreibt Denis Diderot über die Faszination der Musikmaschinen, insbesondere des Klaviers: "Wenn sie nur ein selektives und dynamisches Gedächtnis hätte, könnte sie wie ein menschlicher Spieler spielen."2
"Nicht nur die technischen Möglichkeiten, sondern auch der Zeitgeist und das musikalische Denken waren für die Entwicklung der Musikmaschinen entscheidend; ebenso entscheidend ist das kompositorische Denken für die Maschinenmusik."3
Die Herausforderung
Die Grundidee von Peter Ablinger war die Konzeption eines Phonorealismus4, der in seiner Wirkung mit der fotorealistischen Malerei in der bildenden Kunst vergleichbar ist. Über den rein technischen Aspekt der "Quadraturen" hinaus sind weitere Aspekte zu berücksichtigen, die für die Entwicklung des Automaten relevant waren. Seine ersten Experimente mit analogen Ganztonfiltern führten ihn zu den ästhetischen Prinzipien der Quadraturen-Serie und der Methode, die Analysedaten aufgenommener Klänge als Ausgangsmaterial für seine Kompositionen zu verwenden.
Dies führte ihn zu einer der anspruchsvollsten Disziplinen, der Verwendung von Sprache zur Rekonstruktion von Sprache mit Instrumenten wie dem sprechenden Klavier.
Als große Herausforderung stellte sich die unzureichende Stromversorgung heraus, die nicht die erforderliche Anzahl paralleler Tasten mit unterschiedlichen Anschlagstärken erlaubte. Außerdem war die Wiederholungsrate häufig eingeschränkt, hauptsächlich durch die Datenbandbreite. Eine einzelne MIDI-Verbindung5 war nicht schnell genug. Und so musste ich eines bauen, und das war die Geburtsstunde des Automatenklavierspielers.
Implementationen
Als Referenz für den Bau wurden einige selbstspielende Klaviere analysiert, wobei die Idee eines Roboter-Klavierspielers, der vor einem Klavier sitzt, der Vorsetzer, von der Konzeption des Trimpins-Selbstspielklaviers6 kam. Klaviere sind weit verbreitet, aber schwer zu transportieren und Vorsetzer gibt es wenige.
Millitron bei seiner ersten Performance in der Helmut Listhalle, Stadtoper Graz, 2008.
Aufgrund neuer Auftragskompositionen, unter anderem Dialoge zwischen Klavieren, sowie weiterer Aufführungen in Europa wurde ein zusätzlicher besser transportierbarer Autoklavierspieler benötigt, vor allem für die Opernproduktion "Stadtoper" von Peter Ablinger beim Festival Steirischer Herbst. Aufgrund früherer Erfahrungen konnte der als Millitron bezeichnete Autoklavierspieler optimiert werden. Das Gerät hat lediglich noch die Hälfte des ursprünglichen Gewichts, eine dedizierte Mikrocontrollerplatine und zweistufige Verstärkerschaltung mit den Bezeichnungen "algopic" und "algofet"7. Millitron spielte präziser, ist besser einsetzbar, insbesondere für leise Stücke, und weist daher eine bessere "Piano-Forte"-Dynamik auf. Durch den Einsatz einer neuen Schaltung mit Halte-Modus ohne PWM-Modulation konnte das hochfrequente Pfeifen der Solenoide eliminiert werden. Mit Millitron war es erstmal möglich, Sprache zu spielen – das "sprechende Klavier" war geboren.
2010 erforderte die Musiktheaterproduktion Maschinenhalle #18, 12 Stück der Automaten und damit die erste Kleinserie. Dazu wurde auch ein Tanzinterface entwickelt und die Serie "Rhea" entstand.
Die Entwicklung von Rhea fokussierte sich auf die Realisierung noch schnellerer Wiederholungen, einer optimierten Dynamik für Pianissimo, einer einfachen Transportierbarkeit sowie einer effizienten Einrichtung. Des Weiteren diente sie als Basis für die Konzeption einer ersten Prototypenserie. Im Rahmen dessen wurde eine neuartige Elektronik entwickelt, welche eine präzisere Kalibrierung sowie eine optimierte Adaption an ältere, weniger genaue Klaviere ermöglicht.
Fingeranschlag
Erste experimente beim robotischen Klavierspiel 2003.
Elektronik
Escher Controller.
Escher Board
EscherFET
EscherFET Amplifier Board.
Hubmagente
Solenoid constructed for series "Rhea".
Software
Rheaplayer, as Software Interface written in Puredata.
Der Spieler
Für das Spiel des Roboter-Klavierspielers wurde die Programmiersprache Puredata9 verwendet, um das Rapid Prototyping zu verbessern, eine einfache Anpassung und Integration in andere Projekte zu ermöglichen und eine schnelle Erweiterung auf neue Anforderungen zu gewährleisten. Die Software kann auch als Framework für andere Projekte verwendet werden und läuft auf den meisten Betriebssystemen, vorzugsweise aber auf Linux.
Escher Echtzeit Betriebssystem
Resümee
Maschinenhalle #1
Installation at Ars Electronica Center Museum 2011.
Heptapiano
Beim Ars Electronica Festival 2011 wurden sieben automatische Klavierspieler aus der Rhea-Serie in einem Kreis mit einem Durchmesser von 20 Metern angeordnet und spielten mithilfe des Ambisonics-Algorithmus als räumliches Klavier. Das Auftragswerk des Ars Electronica Center Linz verwendete den 32. Trope von Josef Matthias Hauer, "Und die Wellen umspielen uns", als Grundlage für selbstreplizierende Mutationsalgorithmen, die in Geräuschwellen von Klaviertönen eingebettet sind.10
Walking Piano - Automatenklavierspieler auf Räder
Walking Piano ist ein automomer Automatenklavierspieler welche über öffentliche Plätze gezogen werden kann. In der Serie "Resonante Zwischenräume" als Teil der Reihe "Musik & Architektur" 2018 wurden neue Instrumente entwickelt, autonome Apparate gebaut um musikalisch (Zwischen)Räume in Architekturen akustisch zu bespielen. Fasaden als Partituren, Töne um Räume zu füllen und Mikrofone die am Pflaster schlendern.
Ballet mecanique - 1925/2022
Schlussfolgerungen und weitere Aussichten
- 1
Atelier Algorythmics Graz, http://algo.mur.at/
- 2
Denis Diderot, Entretien entre d’Alembert et Diderot (1769).
- 3
Prieberg, F.K., Musica ex machina: über das Verhältnis von Musik und Technik. (1960) Ullstein Verlag.
- 4
Peter Ablinger, "Phonorealism", online article: http://ablinger.mur.at/phonorealism.html, accessed 30.3.2013.
- 5
Der Music Instrument Device Interface -Dateistandard als serielle Steuerschnittstelle mit etwa maximal einem Befehl pro Millisekunde Übertragungsrate.
- 6
Wikipedia. Trimpin — Wikipedia, the free encyclopedia. 2011; Online accessed 27-April-2011.
- 7
Based on PIC16F877 and two-stage FET solenoid driver this circuit was also used in a lot of other artwork, see "algopic - algofet", http://algo.mur.at/projects/microcontroller/algopic/algopic
- 8
http://maschinenhalle.at/
- 9
M. Puckette. "Pure data", in *Proceedings, International Computer Music Conference.*, 224–227. San Francisco, 1996.
- 10
Heptapiano 2011 URL: http://algo.mur.at/projects/autoklavierspieler/performances/heptapiano
Winfried Ritsch
Winfried Ritsch (geb. 1964, Tirol) ist außerordentlicher Professor für Computermusik am Institut für Elektronische Musik und Akustik (IEM) and er Kunstuniversität Graz und betreibt das „Klangatelier Algorythmics“. Er studierte Elektrotechnik-Toningenieur an der Technischen Universität Graz und der damaligen Hochschule für Musik und darstellende Kunst Graz. Neben seinen Kompositionen und großen Medienkunst Installationen entwarf er neuartige künstlerische Konzepte und initiierte Medienkunstlabors und die Künstlerinitiativen FOND, TONTO, mur.at und setzte Kunst- und Musiktheaterproduktionen um. Für sein Schaffen als Komponist wurde er mit Kunstpreisen, unter anderem mit dem Förderungspreis für Komposition der Stadt Graz 1994, dem Max-Brandt-Preis für Komposition 1997 und dem Andrzej-Dobrowolski-Kompositionspreis des Landes Steiermark 2020, ausgezeichnet. Mit seinen experimentellen Computermusik- und Medienkunst-Performances und Medienkunst-Installationen, insbesondere mit Roboter-Ensembles wie dem "ensemble mècanique", ist er viel auf Tournee und setzt robotische Ausstellung zuletzt im Kunsthaus Graz 2019 und Museum Fernand Léger in Biot/Frankreich um. Für seine künstlerische Tätigkeit in den Bereichen Radiokunst, Klangkunst und Umsetzung von telematischen Kunstprojekten entwickelt er robotische Musikinstrumente, kybernetische Modelle für generative und interaktive Musik und Akustik als Open Source Projekte und betreibt seit 1998 eigene Server der Netzkultur im Internet.
Artikelthemen
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